Julia Jost – Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht

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Margarte Lanterman aka die Log Lady sagte einst: Es gibt viele Geschichten in Twin Peaks. Manche von ihnen sind traurig, manche lustig. Manche handeln vom Wahnsinn, von Gewalt. Manche sind gewöhnlich. Es ist die Geschichte von vielen, doch sie beginnt mit einer Person. Und ähnlich verhält es sich mit der Gratschbacher Gegend mit ihren Gratschbacher Wäldern, irgendwo in Kärnten im Jahr 1994.

Versteckt unter einem LKW beobachtet die 11jährige und namenlose Erzählerin von Julia Jost Debütroman ‚Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht‘ das Treiben der Erwachsenen: „Es ist der Sommer neunzehnhundertvierundneunzig, und meine Familie zieht von Gratschbach nach Klosterberg, um alles hinter sich zu lassen, was nicht in das neu zu entwerfende Selbstbild passt. Ich will nicht.“ Sie ist es, welche die zahlreichen Geschichten, die sich rund um sie herum abspielen, zusammenführt. Ein bunter Reigen an skurrilen Figuren taucht auf, um dem Umzug der Familie beizuwohnen. Im Laufe des Romans wird – ähnlich wie in der Kultserie Twin Peaks – eine Verknüpfung an Affären offenbart, die fast schon inzestuöse Ausmaße annimmt.

Hinter all diesen Geschichten verbirgt sich die Geschichte Österreichs, das von seiner Vergangenheit heimgesucht wird: „Aber das Überraschende war, dass in seinem Bauch das Meine-Ehre-heißt-Treue-Messer steckte. Es war so dank Franzi wieder aus der Versenkung herauf an die Oberfläche geholt worden. Die Mutter kniete sich vor ihren toten Jungen hin und riss mit kraftloser Hand das Messer aus dem Kinderbauch heraus. Daraufhin hörte man sie jaulen. Durch ganz Kärnten tönte es. Ein entsetzliches Jaulen, bis hinunter in jenes Tal, das wir von nun an Schakaltal nannten und das davor ganz anders geheißen hatte, ganz anders.“ Oma und Opa waren keine Mitläufer oder Widerstandskämpfer, sondern überzeugte Faschisten. Nein, man ist stattdessen stolz aus einer sogenannten Führergemeinde zu stammen, wie es auch die Stubenhofoma gerne verkündet. Selbst am Völkermord während des Bosnienkriegs macht man sich schuldig, schlägt aus den Verbrechen Kapital. Der kleine Franzi, einer der wenigen Unschuldigen, muss wie ein Opferlamm für die Sünden der anderen sein Leben geben.

Die Erzählerin nimmt in mehrerlei Hinsicht die Perspektive einer Außenstehenden ein. Sie entspricht vom Verhalten und Empfinden her nicht den geschlechtlichen Normen, sie liebt ihre beste Freundin Luca, die Tochter des bosnischen Gastarbeiters, und sie ist noch ein Kind. Die junge Erzählerin, die ihren Namen nicht verraten will, weil er sie als etwas Eindeutiges bestimmt, als das sie sich nicht empfindet, ist nicht Teil der Erwachsenenwelt. Verborgen unter dem LKW schaut sie im wahrsten Sinne des Wortes von unten auf das Geschehen. Natürlich bedient sich Julia Jost hier eines schriftstellerischen Tricks: die Erzählerin ist kindlich naiv und zugleich nimmt sie mehr wahr als ihr mit elf Jahren eigentlich zustehen dürfte. Und das nicht nur, weil ihr viele der Ereignisse nur von anderen zugetragen werden oder sie diese unbemerkt von den Erwachsenen überhört. Es ist diese eigentümliche Mischung, die es erlaubt, von der Grausamkeit des Ortes mit Humor zu berichten. In ihrer Unschuld legt die Erzählerin die Verbrechen, Geheimnisse und den Charakter ihrer Umgebung offen.

Julia Jost hat 2019 auf Einladung von Klaus Kastberger beim Bachmann Preis einen Ausschnitt des damals noch entstehenden Romans vorgelesen und wurde für den Kelag-Preis ausgezeichnet. Das ist wenig verwunderlich, lockt Julia Jost ihre Leser*innen doch durch die umliegenden Wälder auf den Gratschbacher Hof ähnlich wie David Lynch es mit den hypnotischen Bildern der sich im Wind wiegenden Douglas Tannen gemacht hat und konfrontiert sie hier mit Geheimnissen, einem Toten und einen Reigen an skurrilen Figuren. ‚Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht‘ ist ein beeindruckendes Debüt, das die Gratwanderung zwischen schwarzem Humor und Grausamkeit gelingt, ein Text, bei dem einem auch schon einmal das Lachen im Halse stecken bleibt.

Special Agent Dale Cooper sagte eins: Das ist eine verdammt gute Tasse Kaffee. Ich sage: Das ist ein verdammt gutes Buch.

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