Violette Leduc – Thérèse und Isabelle

Violette Leduc - Thérèse und Isabelle

Mit der Neuübersetzung von Sina del Malafosse veröffentlicht der Aufbau Verlag Violette Leducs Klassiker Thérèse und Isabelle zum ersten Mal unzensiert im deutschen Sprachraum. Die Zensur durch den Verlag wurde die Geschichte des Romans, seiner Rezeption und auch seiner Autorin.

Über drei Nächte und drei Tage an einem Internat für Mädchen erstreckt sich die Handlung des Romans. Und doch ist es eine Reise, von der hier erzählt wird: „Ich bin eine Reisende. (…)  Dreißig Tage bin ich schon an Bord.“, resümiert Thérèse zu Beginn ihren Aufenthalt. Er ist geprägt von Trostlosigkeit, Routine und der Gewissheit, dass ihre Zukunft eine andere ist als die der restlichen Schülerinnen. Ihre Mutter hat sie betrogen, hat einen anderen Mann geheiratet und droht, sie jederzeit in den heimischen Hafen zurückzuholen.

Bevor Thérèse Isabelle liebt, hasst sie das Mädchen, die nachts im Schlafsaal direkt neben ihr liegt. Dann, eines Nachts, lädt Isabelle sie zu sich in ihr Bett ein. Thérèse und Isabelle ist ein minutiöses Protokoll der Entdeckungen, die beide Mädchen in den folgenden Nächten auf ihren Erkundungsreisen machen, aber auch der lähmenden Abhängigkeit, welche Thérèse ihr gegenüber entwickelt.

Eine innere Zensur kannte Violette Leduc nicht: „Ein treffendes Wort, ein einziges, und ich pfeif‘ auf Schande und Sünde.“ Leducs Sprache ist metaphernreich, lyrisch und barock. In diese Beschreibungen mischen sich immer wieder die realistisch gehaltenen Dialoge der beiden Mädchen. Das Ergebnis ist eine sinnliche und erotische Geschichte über die erste Liebe. Was Leduc hier schreibt, darf durchaus als unerhört verstanden werden. Derart offen und intensiv über die körperliche Liebe zweier Mädchen zu schreiben, war 1955 ein absolutes Wagnis. Das Urteil der Verleger lautete natürlich Obszönität.

Violette Leduc wird 1907 als uneheliches Kind einer Dienstangestellten ich Arras geboren und wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. 1939 heiratet sie den Fotografen Jaques Mercier, lässt sich ein Jahr später nach einer Abtreibung – die ihr beinahe das Leben kostet – aber wieder scheiden. 1945 lernt sie Simone de Beauvoir kennen, sie empfiehlt Leduc an Albert Camus, der ihren ersten Roman L’Aphyxie bei Gallimard veröffentlicht. Leduc, die sich in Beauvoir verliebt, macht diese zu ihrer Muse und schreibt ihre späteren Texte implizit für sie. Sie verliebt sich aber auch in die homosexuellen Schriftsteller Maurice Sachs und Jean Genet, die ihre Gefühle nicht erwidern können. Thérèse und Isabelle soll 1955 als Teil ihres Romans Ravages erscheinen, der Verlag streicht diesen ersten Abschnitt allerdings komplett aus dem Manuskript. Die Zensur trifft Leduc, sie hat das Gefühl, dass ihr das eigene Leben abgesprochen wird, eine schwere Depression überfällt sie. Erst 1966 wird der Roman in Frankreich in seiner Gänze veröffentlicht. 1972 stirbt Violette Leduc an Brustkrebs.

„Was für ein Temperament, was für ein Stil!“, heißt es auf dem Cover der Neuübersetzung. Und wer möchte sich dem Lob von Simone de Beauvoir nicht anschließen und sich vor Violette Leduc verbeugen, die trotz aller widrigen Umstände nie von einem Laster gesprochen hat und mit ihrem Werk für ihre Zeit vollkommen neue Wege beschritten hat. Ein Fragezeichen an dieser Stelle erspare ich mir.

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