Aller Anfang ist schwer, wenn es darum geht, das Schweigen zu brechen. Diesen Versuch will aber die 1995 veröffentlichte Anthologie The Invisible Ghetto: Lesbian and Gay Writing from South Africa wagen, herausgegeben von Matthew Krouse und Kim Berman.
Einem Mosaik gleich versuchen die Herausgeber, mit dem Ende der Apartheid die lesbisch-schwule Geschichte eines Landes zusammenzusetzen. Deswegen beschränkt sich die Anthologie auch nicht auf Fiktionales. Es sind Episoden, Kurzgeschichten, Biografien, Gedichte und Interviews, die hier ein großes Ganzes ergeben. Jugend, das urbane Leben, Militarismus, Politik, Liebe und Erotik und Altern und Tod sind die Themen der Autor*innen.
Queere Literatur ist in irgendeiner Form immer politisch, hier sehen wir sie jedoch unter einem Brennglas. Deswegen kommen nicht nur Aktivist*innen zu Wort, die das gesellschaftliche Leben in Südafrika geprägt und auch erst möglich gemacht haben, es werden auch ihre Biografien erzählt. Aber auch Minenarbeiter und Prostituierte werden zu ihren Lebensumständen gefragt. Literatur- und Kulturgeschichte sind in diesem Sinne kaum voneinander zu trennen. Auch weil die Apartheid-Politik das Erzählen von queeren Geschichten unmöglich gemacht hat. Was die Autor*innen der Anthologie erzählen, ist Alltägliches, die Gewalt, die mit dem Sichtbarsein einhergeht. Aber auch Mythologisches, das Umdeuten von Altbekanntem findet hier seinen Platz.
Es wäre naiv, zu behaupten, dass es keinen Unterschied macht, wer hier erzählt. Die weißen Autor*innen der Anthologie berichten vor allem von erotischen Begegnungen, davon wie der Militarismus des Staates absurde Männlichkeitsbilder geprägt hat. Gewalt, die Mühlen der Apartheid und wie sie ein ganzes Leben prägen können, das sind die großen Themen der POC Autor*innen des Bandes.
Der mittlerweile eingestellte Verlag The Gay Man’s Press hat mehrere Anthologien veröffentlicht, beispielsweise auch über Japan und Brasilien, und hat damit maßgeblich einen Beitrag zum Kanonisierungsprozess von queerer Literatur geleistet. Interessanterweise möchte Kim Berman insbesondere die lesbischen Texte von der westlichen Literatur trennen und der Versuchung widerstehen, sich von der Tradition des westlichen Kanons assimilieren zu lassen. Doch offen bleibt die Antwort auf die Frage, wie genau das funktionieren soll. Denn immerhin ist die jüngste Geschichte Südafrikas vom Kolonialismus und Imperialismus geprägt. Die Autor*innen der Anthologie schreiben auf Englisch, jene, die ihre Texte in Afrikaans verfassen, haben sie ins Englische übersetzt, um sie einem internationalen Publikum zugänglich zu machen. Als Leser*in muss man mit diesen Leerstellen und auch vielen weiteren leben, denn die Anthologie gibt kaum Kontext zu den tatsächlichen Gegebenheiten und Ereignissen, die immer wieder angerissen werden.
Aller Anfang ist schwer. Vielleicht liegt es auch deshalb an den Leser*innen, die Leerstellen selbstständig zu füllen. Und auch die qualitativen Unterschiede der Texte zu verzeihen. Nichtsdestotrotz ist The Invisible Ghetto ein Dokument des Widerstandes und bietet vielfältige Einblicke in das queere Leben in Südafrika.