Es passiert mir nicht mehr oft, dass ich eine Buchhandlung betrete und spontan ein Buch kaufe, von dem ich noch nichts gehört habe. Zu viele Enttäuschungen, zu viele Bücher, die bereits auf der nicht zu bewältigenden Leseliste stehen. Dann habe ich, um nach den Scherereien mit der Masterarbeit, einen freien Kopf zu bekommen, eine Buchhandlung gecruist und den folgenden Satz gelesen: „Früher beklaute ich Heteros aus politischen Gründen. […] Inzwischen bin ich etwas ehrlicher, was das angeht. Ich kann zugeben, dass ich Heteros beklaue, weil ich sie ganz einfach nicht mag.“ Ein schäbiges Lachen verriet mir, Lockpick Pornography von Joey Comeau muss sofort gekauft und schnell gelesen werden.
Der namenlose Erzähler, ein junger Mann, ist wütend, wütend auf eine Welt, die sich einer heteronormativen Weltordnung unterworfen hat. Also bricht er in die Häuser von Heterosexuellen ein, stiehlt ihre Fernseher, schlitzt Autoreifen auf und ruft mitten in der Nacht ahnungslose Frauen an, um sie darüber aufzuklären, dass Gender ein Konstrukt ist. Um aber wirklich etwas zu ändern, muss der Kampf viel mehr in die Offensive gehen. Also schließt er sich mit einer Gruppe queerer Misfits zusammen. Gemeinsam plant man Aktionen und setzt diese um. Spätestens bei einer Entführung steht dann aber die Frage im Raum: Wie weit darf der Spaß gehen?
„Was ich meine ist, wenn Gender nichts ist, was ist dann Lust? Dann habe ich Ständer wegen eines Konzepts bekommen, oder nicht?“
Das schmale Büchlein – es hat gerade einmal 111 Seiten – ist ein kurzweiliges Lesevergnügen, das aber unglaublich viel Raum für Reflexion bietet. Denn so urkomisch wie das Buch auch ist, sind die Wut und Verzweiflung des jungen Mannes nachvollziehbar und wahrhaftig. Dabei scheut sich der Autor aber auch nicht davor, diese Verzweiflung in all ihrer Lächerlichkeit zu enttarnen, gerade weil sie Reaktion auf ein Glaubenssystem ist, das in seinen starren Regeln nur als lächerlich charakterisiert werden kann. Aber was steht am Ende der queeren Revolution? Kann sie überhaupt etwas an unseren Gefühlen ändern? Oder sind diese Konstrukte zu tief in uns verankert? Ist Homosexualität nur eine Reaktion auf ein binäres Konstrukt von Geschlecht? Vielleicht ist es am Ende aber auch egal, denn: „Jede neue Ebene kann dekonstruiert werden.“
Lockpick Pornography ist ein wunderbar unterhaltendes Buch, das glücklicherweise aber auch viel zu sagen hat. Eine unbedingte Leseempfehlung.
P.S.: Ja, bei diesem Cover hätte es sich natürlich angeboten, für die Bebilderung der Rezension selbst die Füße in die Luft zu schmeißen. Hab mich dann aber doch für meine neutrale Wohnungstür entschieden, die ich erst letztens selbst vom (vermeintlich heterosexuellen) Schlüsseldienst aufbrechen lassen musste.