Gaia Manzini – Für uns gibt es keinen Namen

Gaia Manzini - Für uns gibt es keine Namen

„Alles, was keine genau festgelegten Grenzen hat, ist größer als wir.“

Ada ist jung und erfolgreich. Nach ihrem Studium findet sie in einer Mailänder Werbeagentur einen Job als Copywriterin, wo sie ihre Fähigkeiten schnell unter Beweis stellen kann. Doch sie hat auch ein zweites Leben am Lago Maggiore: Mit gerade einmal siebzehn ist Ada Mutter der nun neunjährigen Claudia geworden, die am See bei ihren Großeltern aufwächst. Ada hält beide Leben streng getrennt, an beiden Orten inszeniert sie eine wechselnde Amnesie. Doch wie alles, was in Bewegung ist, drohen diese Leben miteinander zu kollidieren.

Für uns gibt es keinen Namen‘ von Gaia Manzini (aus dem Italienischen von Barbara Kleiner) erzählt von einem Leben, in dem sich Gefühle und Beziehungen klar definierten Zuschreibungen entziehen. Denn Ada ist Mutter und sie es zugleich auch nicht, die Entscheidung für das Kind hat nicht Ada getroffen, sondern ihre Mutter: „Ich rief sie bei ihrem Namen, aber ihr Name gefiel mir nicht: Meine Mutter hatte ihn ausgesucht. Sie hingegen rief mich gar nicht, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte: Es gab kein Wort, das mich wirklich definieren würde.“ Mutter und Tochter umkreisen einander, ohne je wirklich Zugang zueinander zu finden. Ada hat Claudia in den ersten zehn Monaten ihres Lebens nicht in den Arm genommen, hat sie nicht gestillt, ihr nie ein Wiegenlied gesungen. Ihre Gesten sind unbeholfen, eine Sprache für das, was sie füreinander sind, gibt es nicht. Und in diesem Sinn ist ‚Für uns gibt es keinen Namen‘ natürlich auch eine Geschichte über Mutterschaft und körperliche Autonomie.

In Mailand, fern von ihren Eltern und ihrer Tochter, beginnt Ada ihre eigene Stimme zu finden – und verliebt sich in ihren Arbeitskollegen, den homosexuellen Alessio. Die sich zwischen den beiden entwickelnde Beziehung entzieht sich ebenso gängigen Definitionen und wird von ihrer Umgebung mit einer Mischung aus Hohn und Argwohn beobachtet. Identitäten sind hier brüchig, ja, fluide und queer. Manzini schreibt über den Versuch mit einer neuen Sprache von sich selbst zu erzählen und sich so erst überhaupt in die Existenz zu bringen.

Für uns gibt es keinen Namen‘ erhält erstaunlich wenige kulturelle Marker. Klar ist, dass der Roman in Italien der Gegenwart spielt, genauer gesagt in Mailand und am Lago Maggiore. Wann genau der in Italien 2021 veröffentlichte Roman jedoch spielt, ist zu Beginn unmöglich zu sagen. Es ist, als wäre Ada durch ihre frühe Mutterschaft zwar nicht aus der Zeit gefallen, als wäre sie ihr aber leicht entrückt und würde ausgerechnet erst durch ihre Beziehung zu Alessio in eine eindeutig bestimmbare Zeit zurückfinden. Queere Literatur zeichnet sich oft durch eine queere Zeitlichkeit aus, also einer Vorstellung von Zeit, die sich den Zeitstrukturen einer (hetero)normativen Biografie entzieht.

So erzählen queeren Biografien und Geschichten beispielsweise oft von einer verspäteten Jugend, davon wie ihre Protagonist*innen typische Meilensteine eben jener erst mit Mitte 20 erleben, wenn sie fern von der Heimat in einer fremden Großstadt einen Neuanfang wagen. Der Roman setzt diese queere Erfahrung parallel zu der Erfahrung der frühen Mutterschaft und queert diese in gewisser Weise. Ada hat ein Kind, aber sie ist keine Mutter. Ihre Jugend findet statt, nachdem sie ein Kind in die Welt gesetzt hat und sie eine Arbeit findet, also in die Welt der Erwachsenen eintritt – doch ausgerechnet in der Welt der Kreativen, in der es in Ordnung ist, wieder zum Kind zu werden.

Auch über Alessios Erfahrungen als schwuler Mann erfahren wir wenig, doch Manzini schafft es mit wenigen Sätzen ein komplexes Bild zu zeichnen, das eine schwierige Vergangenheit andeutet, die in vielen Aspekten vermutlich einer ‚klassischen‘ Biografie eines schwulen Mannes entspricht. Dieses Bild wird durch Alessios sexuelles Interesse für Ada vielschichtiger, ohne dass wir viel über seine Gefühle und Gedanken erfahren. Denn indem Manzini seine Geschichte der von Ada gegenüberstellt, die sich selbst und ihre Bedürfnisse oft nicht versteht, wird deutlich, dass sich für beide Figuren die Ereignisse einer Sprache entziehen, mit der sie ihren inneren Vorgängen beikommen könnten.

Für uns gibt es keinen Namen‘ von Gaia Manzini ist ein ruhig erzählter Roman, unter dessen Oberfläche es gehörig brodelt. Ohne dabei zu urteilen, erzählt der Roman von zwei fehlbaren Menschen, die versuchen, einen Pfad zu einem unbekannten Ort einzuschlagen, an dem ihre Wünsche und Bedürfnisse endlich Kontur annehmen. Und obwohl sich Vieles in dieser Geschichte eines eindeutigen Zugriffs entzieht, hat Manzini bis zum Schluss die absolute Kontrolle über ihre Figuren und deren Gefühle.

Gaia Manzini wurde 1974 in Mailand geboren. Sie ist Autorin mehrerer Romane, ‚Für uns gibt es keinen Namen‘, erschienen im nonsolo Verlag, ist ihr erster ins Deutsche übersetzter Text. Darüber hinaus schreibt sie für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und hat das Drehbuch zu ‚Mia madre‘ (2015) mitverfasst.

Facebook
Twitter
LinkedIn

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert