Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue? 1986 marschierte Gerard Jan van Bladeren in die Ausstellung des Künstlers Barnett Newman und zerschnitt mit einem Messer eines der ausgestellten Bilder. Auch Alex empfindet beim Anblick eines der Gemälde aus der Reihe eine innere Aufregung, das Gefühl, dass ihr das Bild zu nahe geht, um Distanz zu wahren. Mindestens genauso furchteinflößend: die Familie. Denn auch hier ist die Konfrontation unausweichlich, ein Entkommen aus diesem Beziehungsgeflecht ist unmöglich.
Nach dem Essay ‚Power Bottom‘ legt Evan Tepest mit ‚Schreib den Namen deiner Mutter‘ nun seinen Debütroman vor. Dieser greift dann auch direkt viele der Themen aus dem Essay auf: Katholizismus und Lust, Begehren, Psychoanalyse, Queerness in der Provinz und das Verhandeln der eigenen Geschlechtsidentität.
Die Handlung von ‚Schreib den Namen deiner Mutter‘ ist schnell zusammengefasst: Alex reist zur Beerdigung ihres Großvaters von Berlin zurück ins Rheinland in die Provinzvilla der Mutter. Mit im Gepäck hat sie die Aufgabe den titelgebenden Essay zu schreiben, denn langsam wird das Geld knapp. Seit dem Erscheinen von Alex‘ Debütroman sind Jahre vergangen und die Verlage halten die Idee des zweiten Romans, ein Verzeichnis ihrer achtunddreißig Sexualpartner*innen, für kein gutes Investment. Doch wie soll sie über das Verhältnis zur Mutter schreiben, wenn es von Schweigen geprägt ist: „Das Problem war nur, dass, worüber Alex und die Mutter nicht sprachen, praktisch alles umfasste. Dass sie, um eine sinnvolle Unterscheidung zwischen dem Gesagten und dem Ungesagten vorzunehmen, überhaupt einmal miteinander reden mussten.“ Alex und die Mutter sprechen nicht über die Depressionen, von denen sie beide heimgesucht werden, nicht über Alex‘ lesbisches Begehren und erst recht nicht von Alex‘ Geschlechtsidentität als non-binäre Person.
So viel zur Handlung, denn was ‚Schreib den Namen deiner Mutter‘ wirklich ausmacht, sind die inneren Vorgänge, die sich in kleinen Gesten der Figuren ausdrücken, aber nicht ausgesprochen werden können. So sagt Alex an einer Stelle, sie sei „in Gewalt aufgewachsen“. Was genau passiert ist, erfahren wir nicht. Es ist nicht sagbar, aber durchaus spürbar.
Zum einem bedient sich Tepest hier eines klassischen Motivs von trans Narrativen, dem Zweifeln an der eigenen Vergangenheit, dem Gefühl, dass sie einem nicht mehr gehört oder auch: ein Schwanken zwischen den Erfahrungen, die nie gemacht werden konnten, und jenen, die verdrängt wurden. Zum anderen schreibt Tepest aber die Unmöglichkeit, über das Schreiben der Vergangenheit und den eigenen Traumata beizukommen. So sehr Alex es auch versucht, die Konflikte der beiden lassen sich nicht über den Akt des Schreibens lösen, so wie sie sich über das Schreiben auch nicht der Mutter nähern kann – bleibt sie doch trotz ihres Namens ganz archetypisch über weite Strecken des Romans ‚die Mutter‘.
Alex‘ Mommy Issues sind ausgeprägt und in verschiedenen Ausprägungen vorhanden: In der alten Heimat begegnet sie den queeren Mentor*innen-Figuren ihrer Jugend, die alle nicht so reagieren wie Alex es sich wünscht und stattdessen ihre eigene Sicht auf die Welt haben. Sie sind aber auch der Beweis dafür, dass es andere – erfolgreiche – Lebensentwürfe gibt, dass es auch möglich ist, als queere Person in der Kleinstadt ein glückliches Leben zu führen.
‚Schreib den Namen deiner Mutter‘ ist ein leiser (und auch lustiger!) Roman, der im Ungesagten und in den Zwischentönen der Gesten sein volles Potential entfaltet. Wer nicht aufpasst, wird den Roman lesen und sich womöglich wundern, dass der Klappentext die komplette Handlung vorwegnimmt. Doch wer sich in Evan Tepests Text verliert, wird wie auch Gerard Jan van Bladeren mit etwas konfrontiert, das aufwühlt, etwas, das zu nahe geht, um sich zu distanzieren.