Elisabeth Klar – Es gibt uns

Elisabeth Klar - Es gibt uns

„Was tut ihr hier?, fragte xer Verbliebene. Das Gewicht abschütteln, sagte eines der Kinder, und ein anderes packte xien sogleich am Arm, mit einer unangemessen anmutenden Dringlichkeit: Komm, tanz, tanz, sonst sind wir verloren.“

Es gibt uns von Elisabeth Klar erzählt von der Natur – den Tieren, den Pflanzen und den Pilzen, Schuppentierchen und Schleimtierchen – und dem Versuch, ihr mit Sprache beizukommen. Der Roman erzählt von Titania, Oberon und dem Müxerl, dem rauschenden Fest Walpurgis und dem Tanz. Der Tanz, der eine konstante Bewegung ist, ein Rausch, ein einander Umarmen, ein sich willkommen heißen, ein Verschmelzen, ein ineinander einbrechen von zwei Wellen.

Der Roman spielt in der fernen Zukunft in der postapokalyptischen Stadt Anemos, in einer Zeit, in der sich das komplexe Leben im Niedergang befindet und das Myxozän bevorsteht, das Zeitalter, in dem der Schleim alles beherrschen wird. Begriffe haben kaum noch eine Bedeutung, die Lebensbedingungen ändern sich ständig. Spezies verschwinden täglich, neue kommen hinzu: „Was bin ich? Was bist du? Unsere Spezies haben alle keine Namen.“ Was bleibt ist das Spiel der Pronomen – sie, er, es oder xier, nin, per, hän – um der Vielfalt der Natur beizukommen, die noch nie binär war.

Leser*innen werden wie auch bei Shakespeares A Midsummer Night’s Dream mit einem Stück im Stück konfrontiert. Es gibt uns sprengt temporale wie spatiale Grenzen, die Einheit von Ort und Zeit des Aristotelischen Theaters werden aufgehoben. Denn es ist Walpurgis und es wird „ein Fest beschworen, das erst kommen wird, das jedes Jahr kommt, und zugleich ein Fest erinnert, das so nur ein einziges Mal vor vielen Jahren stattgefunden hat“. Anemos ist nach der Blume benannt, die an jeder Ecke blüht – auch in anderen Städten. Und deswegen könnte Anemos auch jede andere Stadt sein, zugleich ist sie mehr. Ein Symbol, weil sie nicht der Schwere anheimgefallen ist, weil sie mit dem Tanz aufbegehrt, weil sie wütet, aufbegehrt am Ende des Tages.

Die Figuren sind Shakespeares A Midsummer Night’s Dream entsprungen – hier wohnen an der Grenze zu Athen in einem Wald die Feen Oberon und Titania. In Es gibt uns begegnen wir ihren mutierten Versionen, einer Titania mit einem Geweih und einem Spinnenwesen auf dem Rücken und Oberon, einx Quallentier. Xier war in Symbiose mit bakteriellen Flora für die Trinkwasseraufbereitung in Anemos zuständig. Und dann ist da noch das Müxerl, dem Schleimaal verwandt, entfernt auch den Nacktkiemern, das die Aufgaben Oberons übernehmen musste, nachdem xier gestorben ist. Wo Shakespeare artenübergreifende Beziehungen noch mit derben Humor dargestellt hat, führt Elisabeth Klar dieses Konzept im Sinne einer queeren Natur konsequent an seine Grenzen.

Wie viele Vertreter*innen des Nature Writings stellt sich auch Es gibt uns die Frage, wie Natur überhaupt mit Sprache beizukommen ist. Diese Form des Schreibens hinterfragt sich selbst, ist – wie das Stück im Stück – Performanz. Elisabeth Klar beschreibt eine Welt, in der sich die Grenzen derart verschoben haben, dass selbst Kategorien wie Leben, Tod und Sex neu gedacht werden müssen. Shakespeares Oberon lässt mit dem Saft eines Wilden Stiefmütterchens seine Umgebung in eine unfreiwillige Liebesraserei verfallen, die Bewohner*innen von Anemos gehen eine freiwillige Beziehung mit den Blüten einer Pflanze ein, die Titania in ihren Gewächshäusern aufzieht. Sie legen die Blüten auf ihre Körper und „und denken an Hitze und Schweiß, an Lust und Rausch.“ Sex kann im übertragenen wie im wörtlichen Sinne einen kleinen Tod bedeuten. Denn was bedeutet der Tod noch, wenn Körper im wahrsten Sinne des Wortes miteinander verschmelzen können?

Es gibt uns von Elisabeth Klar ist verspielt, aber nie verkopft. Es wäre ein Leichtes, den Roman aufgrund seiner Referenzen und seiner Thematik als ein Buch für Literaturwissenschaftler*innen abzutun, so wie auch Barbaras Frischmuths Kategorisierung des Textes als „posthumanistischer Utopieroman“ diesem nur bedingt gerecht wird. Es gibt uns erzählt von einer queeren Natur, vom Schleim und vom Tanz, von Konsens, Ektase und körperlicher Autonomie, von der Sprache und von der Hoffnung. Letzten Endes ist es Elisabeth Klar mit Es gibt uns geglückt, einen Roman zu schreiben, der sich nur selbst beschreiben kann.

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