Constance Debré – Love Me Tender

Constance Debré - Love Me Tender

I don’t see why the love between a mother and son should be any different from other kinds of love. Why we shouldn’t be allowed to stop loving each other. Why we shouldn’t be allowed to break up. I don’t see why we shouldn’t stop giving a shit, once and for all, about love, or so-called love, love in all its forms, even that one. I don’t see why we absolutely have to love each other, in families or elsewhere, and why we have to go on about it the whole time, to ourselves, to each other.

Love Me Tender‘ (aus dem Französischen ins Englische von Holly James) von Constance Debré ist Teil einer autofiktionalen Trilogie, in der ‚Love Me Tender‘ das Mittelstück bildet. Der Roman erzählt von Mutterschaft, der Dualität von Körper und Geist und einem radikalen Lebenswandel.

Constance Debré lebt ein bürgerliches Leben. Sie hat einen Mann, einen Sohn, eine Karriere als Anwältin und kommt – wie man allgemeinhin sagt – aus gutem Elternhause. Doch Schicht um Schicht löst sie sich von diesem Leben und durchläuft eine Metamorphose von Körper, Geist und sozialem Status. Sie trennt sich von ihrem Mann, tauscht ihre Karriere als Anwältin gegen das Schreiben ein, schneidet sich eine Glatze und beginnt mit Frauen zu schlafen.

Debré stellt das klassische Bild einer Mutter infrage – und muss deswegen vor Gericht um ihren Sohn kämpfen. Der Vorwurf ihres Mannes ist perfide wie vorhersehbar: Pädophilie. Sie wird angeklagt, Bücher von Guibert, Duvert und Bataille in ihrem Regal stehen zu haben. Fotos, die ihren Sohn gemeinsam mit einem ihrer „fag friends“ am helllichten Tage auf einer Terrasse zeigen, werden als Beweis angeführt, als würde die unschuldige Szene etwas Ominöses, ja, etwas Gefährliches implizieren.

 Die Grausamkeit ihres Mannes, die Willkür des Gerichts – all das zeigt den Unterschied zwischen der gesetzlichen Lage, die Gleichheit nur verspricht, und der Realität queerer Menschen im Alltag der französischen Gesellschaft. Mehr als das wird jedoch deutlich, mit welcher Vehemenz, die bürgerliche Gesellschaft gegen Dissident*innen vorgeht, die ihre vermeintlichen Werte und Ideale verraten. Denn Debré ist sich sicher: „If I’d have settled for just liking women, it would’ve been fine, I think. Lesbian lawyer, same life, same income, same appearance, same opinions, same ideals, same relationship to work, money, love, family, society, the material world, the body. If I still had the same relationship to the world, it would’ve been much less hassle.

Debré trennt sich von allen materiellen Dingen, ihren Büchern, ihrer Wohnung, alles, was überflüssig ist, muss weg. Sie schlägt sich irgendwie durch, schläft auf den Sofas von Freund*innen, schreibt tagsüber in Cafés, geht schwimmen und schläft mit Frauen, denn „Girls don’t weigh you down.

Die Sprache in ‚Love Me Tender‘ ist so spartanisch wie das Leben, das Debré führt. Weil sie nichts mehr spürt, muss sie ihren Körper durch das Schwimmen stählern: „That’s why I swim. To keep my body in balance, to keep my body strong. Because that’s what’s holding me together. Because there’s something in my muscles that’s connected to my soul.“ Das Gleiche trifft auch auf ihre Sprache zu, die auf das Nötigste reduziert, stählern ist, und so auf einer sprachlichen Ebene das Verhältnis von Körper und Geist reflektiert. Doch trotz dieser Reduktion hat Debrés Sprache etwas Körperliches, ein Körper, der sich auf einen legt und mit seinem Gewicht zu ersticken droht.

Love Me Tender‘ ist vor allem aber eine Reflektion über Mutterschaft. Wie weit darf Liebe gehen? Bis zur persönlichen Selbstaufgabe? Debré unterscheidet zwischen Mutterschaft und Liebe:  „There’s no such thing as a mother. Mother as a status, an identity, a form of power, a lack of power, a position, dominated and dominant, victim and persecutor, it doesn’t exist. None of these things exist. There’s only love, which is completely different. Love that doesn’t need love in return, love that doesn’t ask for anything, love that knows what love is, love that never doubts, love that knows pain is nothing, that pain has nothing to do with it, that it’s futile, that violence is always about the person inflicting it.

Debré zieht eine Verbindung zwischen ihrer Rolle als Mutter und ihrer Identität als lesbische Frau: „I might never have become a lesbian if I hadn’t been his mother first, I might never have dared, I might never have understood.” Indem sie gängige Vorstellungen und Konventionen auf den Kopf stellt, bezieht sie sich vermutlich auf Annie Ernaux und Roland Barthes – die eine konnte erst durch eine Abtreibung zur Mutter werden (‚Die Scham‘ aus dem Französischen von Sonja Finck), der andere konnte erst durch den Tod der Mutter zur eigenen Homosexualität stehen (‚Tagebuch der Trauer‘, aus dem Französischen von Horst Brühmann).

Sie suche nicht mehr nach Liebe, so Debré, doch es wäre verfrüht, den Titel des Buches deshalb ironisch zu verstehen. Ja, ‚Love Me Tender‘ ist grausam in seiner Darstellung von Willkür, Schmerz und Ungerechtigkeit. Doch Debré liebt genauso zärtlich – in ihrem unbeugbaren Willen, sich selbst treu zu bleiben und ihren Sohn als Mensch zu lieben.

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