Christopher Wurmdobler – Ausrasten (Erzählungen)

Christopher Wurmdobler - Ausrasten

Sehr geehrte Fluggäste, wir haben bereits mit dem Sinkflug begonnen und landen in wenigen Minuten auf dem Wiener Flughafen. Bitte kehren Sie auf ihren Sitzplatz zurück und bleiben sitzen, bis die Anschnall-Zeichen erloschen sind. Vor Ort haben Sie Gelegenheit, Wien in all seinen Facetten kennenzulernen. Es führen Sie unter anderem: ein Showgirl, das selbst seine besten Dschungelcamp-Jahre hinter sich hat, queere Dumpster-Guerillas mit Geschäftssinn, eine Wollverkäuferin unter Zeugenschutz, eine zornige Theaterkritikerin und ein polyamouröser Polizist.

Christopher Wurmdoblers nunmehr drittes Buch Ausrasten im Czernin Verlag ist eine Sammlung von Erzählungen, in deren Mittelpunkt allerlei skurrile Figuren stehen. Wie es sich für einen ordentlichen Wiener Reigen gehört, reichen sich diese Figuren der Reihe nach die Hand. Die einzelnen Erzählungen sind allesamt nicht sehr lang, maximal 10 Seiten. Was zu Beginn etwas abgehackt wirkt, entwickelt aufgrund der Beziehung der Figuren untereinander, schnell ein ganz eigenes Tempo und auch einen eigenen Sog.

Wurmdoblers Figuren sind allesamt überzeichnet, überhöht, ein Spiel mit dem Klischee. Das könnte schnell an Reiz verlieren oder boshaft wirken, doch hier gelingt es. Das liegt auch daran, dass die Grenzen des Spiels mit dem Klischee konsequent ausgereizt werden – durchaus auch bis zum Bruch. Vor allem geht es aber auch nicht darum, einzelne Figuren – die alle irgendwie auch Stellvertreter*innen für bestimmte Gruppen sein könnten – vorzuführen. Sie bleiben immer menschlich und deswegen lacht man mit ihnen und nicht über sie.

Vielleicht ist ja aber auch theatralisch der richtige Begriff, was wenig verwunderlich ist bei einem Autor, der selbst immersives Theater als Teil des Ensemble Nesterval spielt. Alle Figuren setzen sich irgendwie in Szene, inszenieren sich und ihr Leben. Das Leben ist eben doch nur eine Bühne. Und die eignet sich auch perfekt, um mit der Grenze zum Publikum zu spielen. Deswegen wird in einer der Erzählungen auch mal glatt das offene Ende der vorangegangenen Erzählung von einem Autor und seinem Testleser kommentiert, um über das Für und Wider von expliziten Sexszenen zwischen schwulen Figuren zu diskutieren. Inklusive einer erinnerungswürdigen Szene aus Wurmbdoblers Debütroman Solo.

Sehr geehrte Fluggäste, wir haben unser Ziel erreicht. Wir bedanken uns für Ihren Flug mit Wurmdobler Airlines und freuen, Sie bald wieder begrüßen zu dürfen. Wir wünschen Ihnen ein frohes Ausrasten.

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