Mit dem Untertitel Focus on the Margins verschreibt sich die Anthologie New Queer Photography einer Programmatik, wie sie auch die Schriftstellerin Toni Morrison vertreten hat: “I stood at the border, stood at the edge and claimed it as central. l claimed it as central, and let the rest of the world move over to where I was.” Entsteht queere Kultur doch genau an der Stelle, wo Körper, Begehren und Verstand mit der Umwelt im Konflikt sind. Doch was genau ist queere Fotografie, wenn sich Queerness per Definition kaum einfangen lässt? Die Antwort auf diese Frage kann nur Vielstimmigkeit sein.
52 Fotografen versammelt die Anthologie, welche im Kettler Verlag erschienen ist und von Benjamin Wolbergs herausgegeben wurde. Inszenierungen, Alltagsszenen, Portraits, Dokumentationen, Kollagen – das Spektrum der abgebildeten Fotografien ist groß. Oft sind die Grenzen zwischen den Formen fließend, auch weil sie einem Inhalt Gestalt geben, der sich einer eindeutigen Kategorisierung verschließt. Auch im Hinblick auf den intersektionalen Charakter des Buches ist das hervorzuheben. Viele der abgebildeten Personen sind in mehrerlei Hinsicht marginalisiert.
Auf den Bildern finden sich trans und nicht-binäre Personen, lesbische Frauen und schwule Männer. Sie sind jung und alt, manche entsprechen den gängigen Schönheitsidealen, andere machen sich von diesen frei, viele sind arm. Sie kommen beispielsweise aus Vietnam, den USA, Georgien, Süd Afrika, Iran und auch Mozambik. In New Queer Photography rücken Menschen in den Vordergrund, die in der Fotografie keinen Platz finden oder wenn mit dem oftmals brutalen Blick des Anderen festgehalten wurden.
Was die Fotografien eint, ist ihre Intimität. Das trifft auf Florian Hetz mit seinen verdrehten und fragmentierten Körpern zu, aber auch auf Maika Elan, die homosexuelle Paare aus Vietnam in ihren Wohnungen fotografiert. Auch die Reihen Where Love is Illegal von Robin Hammond und There are no Homosexuals in Iran von Laurence Rasti sind nicht weniger intim, weil die Portraitierten mit Pflanzen, Luftballons oder auch ihren Händen ihre Gesichter verbergen. Ihre zur Schau gestellte Existenz ist gelebter Widerstand. Das Private ist auch weiterhin politisch.
Viele der Fotografien sind in Ländern entstanden, in denen Homosexualität und von der Norm abweichende (bzw. was als diese empfunden wird) Geschlechtsidentitäten gesellschaftlich geächtet sind oder auch unter Strafe stehen. Die Sammlung ist so erfolgreich, weil ihre Fotografen die Betroffenen nicht als bloße Opfer inszeniert, ihre gesellschaftliche Marginalisierung deswegen aber auch nicht ausblendet. Sie werden als vollwertige Personen dargestellt.
Zwei ältere Männer, die sich beim Waschen helfen, eine stolz zur Schau gestellte Mastektomie, eng umschlungene Körper, eine Drag Queen, die direkt in die Kamera schaut. Die Vielfalt queerer Lebensrealitäten in ihrer gänzlichen Fülle abbilden zu wollen, ist ein unmögliches Unterfangen. New Queer Photography wird diesem Anspruch gerecht, indem es nicht alles abbildet, indem es eine Welt der Möglichkeiten zeigt, die nie vollständig sein kann, weil auch Queerness immer wieder die Grenzen des Möglichen verschiebt.