Alice Winn – Durch das große Feuer

Alice Winn - Durch das große Feuer

Der Debütroman ‚Durch das große Feuer‘ von Alice Winn (aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp und Benjamin Mildner, erschienen im Eisele Verlag) erzählt von der verbotenen und unausgesprochenen Liebe zwischen den beiden Internatsschülern Henry Gaunt und Sidney Ellwood. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, sind sie mit 17 Jahren eigentlich zu jung, um zu kämpfen. Trotzdem melden sich beide aus unterschiedlichen Gründen für den Kampf an der Front. Gaunt flüchtet vor den eigenen Gefühlen, Ellwood folgt seinen romantischen Vorstellungen eines Krieges als „Dosis Leidenschaft für ein Jahrhundert des Friedens“. Doch konfrontiert mit der Realität des Krieges, müssen beide erkennen, dass ihnen vermutlich nicht mehr viel Zeit bleibt.

Gaunt und Ellwood bilden das Herz des Romans. Gaunt, dem nie etwas fehlt, der immer kämpft – gegen alle. Gaunt, der Inbegriff von Anstand und Konvention. Ihm gegenüber steht Ellwood, der aus den tiefsten Gegensätzen besteht. Er ist Dichter und Ästhet, ein Gläubiger des Schönen. Ellwood ist einfühlsam und geduldig und doch neigt er zu unkontrollierbarer Gewalt. Blind für alles Hässliche lebt er in einem England, das tatsächlich zauberhaft zu sein scheint. Als Leser*in fühlt man sich unweigerlich an die Vorstellung eines paradiesischen Arkadiens erinnert, wie es schon E.M. Forster in ‚Maurice‘ heraufbeschworen hat, geprägt von der Literatur der griechischen Klassiker, wie sie auch Gaunt und Ellwood lesen (wobei es leicht verwunderlich ist, dass im Roman selbst nicht auf die ‚griechische Liebe‘ verwiesen wird, wo doch vor allem die Lektüre der griechischen Klassiker an englischen Schulen und Universitäten die Bildung einer homosexuellen Identität befeuert hat).

Alice Winn beschreibt eine Welt der Gegensätze und Widersprüche. Das Internet Preshute ist ein Mikrokosmos der Dominanz und Macht, in dem sich die Schüler tyrannisieren und neben ihrer formalen Ausbildung eine der Gewalt absolvieren. Denn hier überleben kann nur, wer stark ist und es schafft, seine Angst zu überwinden. Und doch blitzen immer wieder unerwartete Momente der Zärtlichkeit auf, die das vorherrschende und rigide Bild von Männlichkeit infrage stellen.

Trotzdem, das Begehren ist im viktorianischen Vorkriegsengland verpönt, vor allem das mann-männliche. Geduldet wird es nur, wenn es im Verborgenen stattfindet, als eine Form der Unreife, welche die jungen Männer lernen müssen, hinter sich zu lassen. Wer sich erwischen lässt, wird der Schule und der Gesellschaft verwiesen – und so muss die Liebe zwischen Ellwood und Gaunt unausgesprochen bleiben.

Der Roman wird vor allem im Kontext des Ersten Weltkrieges gelesen, ‚Durch das große Feuer‘ ist aber auch ein Internatsroman, der – bewusst oder unbewusst – auf ähnliche Texte wie ‚Das Leiden des jungen Törleß‘ von Robert Musil und ‚A Separate Peace‘ von John Knowles verweist. Alice Winn zeichnet das eindrückliche Bild eines Milieus, in dem junge Männer heranwachsen, die Krieg spielen wollen und romantische Ideen davon haben, mit ihren Kameraden und einem Lied auf den Lippen in die Schlacht zu ziehen. Dabei hält sie in ihrer Darstellung ihrer Figuren stets gekonnt die Waage zwischen Unschuld und Ignoranz.

Es wäre ein Leichtes gewesen, zwei sympathische Figuren in den Mittelpunkt dieses Romans zu stellen, ihnen gegenüber eine brutale Gesellschaft, welche ihre Liebe nicht akzeptieren will. Tatsächlich sind Gaunt und Ellwood komplex, ja, auch teilweise unsympathisch. Alice Winn widersteht allerdings der Versuchung, sie durch die Schrecken des Krieges zu läutern, sie zu besseren Menschen zu machen. Zwar wird deutlich, welche positiven gesellschaftlichen Entwicklungen der Krieg in England vorantreibt – Frauen werden in der Öffentlichkeit sichtbar, die strikten Grenzen zwischen den Klassen beginnen sich aufzulösen – der Kampf an der Front ist aber alles andere als ein ehrenhaftes Unterfangen.

Durch das große Feuer‘ bedient sich verschiedenster Elemente des historischen Romans. So sind Briefe, Zeitungsausschnitte und Ehrenlisten in den Text verwoben. Auch verweist Alice Winn auf literarische Quellen von Zeitzeugen wie Ernst Jünger und Siegfried Sassoon. Das ist sehr gelungen, wenn vielleicht auch etwas zu perfekt, zu glatt, dient aber immer dem Zwecke, den Krieg nicht zum Spektakel verkommen zu lassen. Alice Winn schildert den Kampf an der Front als zermürbend, als psychologischen Terror, jenseits von Ruhm und Ehre, als Krieg, in dem es nur sinnlose Tote gibt. Das ist den historischen Ereignissen entsprechend brutal, allerdings nie reißerisch.

Der Roman hat recht unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen, sowohl Lobeshymnen als auch Frust und Enttäuschung. Vermutlich lohnt es sich zu unterscheiden, was der Text ist, was er sein will und was manche aus diesem zu machen versuchen. Was der Roman ist, ist ein waschechter Schmöker, in dessen Zentrum eine Liebesgeschichte (die dankenswerter Weise nur an ein paar wenigen Stellen in den Kitsch rutscht) mit zwei wunderbar komplexen Figuren steht. Ein Schmöker, in dem man sich verlieren kann und darf. Dabei lässt Alice Winn den Ersten Weltkrieg wie so viele andere Autor*innen nicht zur bloßen Hintergrundkulisse verkommen. ‚Durch das große Feuer‘ ist anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur – und das ist in keiner Weise despektierlich zu verstehen. Denn die eigenen Leser*innen zu unterhalten und sich zugleich der Komplexität seiner Figuren und der historischen Realität zu stellen – das ist eine Kunst für sich.

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