Alana S. Portero – Die schlechte Gewohnheit

Alana S. Portero - Die schlechte Gewohnheit

Wenn die Nacht nicht mir gehörte, war es keine Nacht. Höchstens eine sadistische Version des Tages: Die Enthemmung offenbarte die sozialen Hierarchien noch grausamer.

In ihrem autobiografischen Debütroman ‚Die schlechte Gewohnheit‘ (aus dem Spanischen von Christiane Quandt) vereint Alana S. Portero verschiedene Genres: Coming-of-Age, Milieustudie und trans Memoiren. Es ist eine Geschichte über das Leben in der Kluft zwischen der vorenthaltenden Zukunft und der erstickenden Enge des Todestheaters.

Porteros Protagonistin und Erzählerin wächst in den 80ern in der Peripherie auf, auf dem Kuhhaufen, der in den 50ern von faschistischen Bürokraten zu dem großspurig betitelten Wohnbauprojekt El Gran San Blas geformt wurde. Der Ort befindet sich in der Nähe von Madrid, doch er könnte genauso gut in einer anderen Welt liegen. Gewalt und Armut beherrschen den Alltag seiner Bewohner*innen, zugleich eint sie aber auch das Klassenbewusstsein der Arbeiter*innen – ein Klassenbewusstsein, welches das Regime „mithilfe beinahe geschenkter Heroin-Highs einzudämmen“ versucht. Hier, zwischen Spielplätzen, auf denen die Kinder des Viertels sterben, „wenn sie alt genug waren, um sich mit Heroin abzuschießen“, malt sie sich eine Fantasiewelt aus und entdeckt, trotz des „ganzen Kerls“, den die Welt in ihr sieht, dass sie ein Mädchen, dass sie trans ist.

Die schlechte Gewohnheit‘ ist mehr als die Geschichte seiner Erzählerin, es ist auch die Geschichte der Frauen – trans und cis – die in ihrem Leben eine Rolle spielen, dem Erbe, an dem sie teilzuhaben versucht. Sie beschreibt eine Welt der Mythen und Legenden, denn inmitten der Gewalt und der Armut webt sie mit einem Goldfaden eine Geschichte über Aphrodite, Circe, Nimues und Alaine de Astolat.

Porteros Portrait des Viertels ist facettenreich und differenziert. Sie beschreibt den Ausschluss und die Gewalt gegenüber queeren Menschen, aber auch Momente der Solidarität und der Unterstützung – sowohl in der eigenen Familie als auch im Viertel allgemein. Doch wie alles hat auch diese Solidarität Grenzen, die wie ein Streikposten nicht überquert werden dürfen.

Der Roman greift klassische Motive von trans Memoiren auf: Die Erzählerin ist zu einer ewigen Kindheit verdammt, sie lebt außerhalb der Zeit, einer Zeit, die für andere selbstverständlich ist, trans Menschen jedoch vorenthalten bleibt: „Die Zeit, ein Mädchen zu sein, eine Jugendliche. Zeit für die eine oder andere ungelenke erste Liebe. Zeit, einem Idioten nachzuheulen. Zeit, um Freundinnen zu finden, mit ihnen zu streiten und sich gleich wieder zu versöhnen. Zeit dafür, wie verrückt zu tanzen. Zeit zu lernen, ohne Unterbrechungen Frau zu sein.“ Hier gleicht das Leben einem Warten auf eine Zukunft, die nie kommen wird.

Die schlechte Gewohnheit‘ zeigt eindrucksvoll, was es bedeutet, wenn das eigene Leben zwangsweise in Pole segmentiert wird, wenn sich eine Kluft auftut zwischen innen und außen, Körper und Geist, Tag und Nacht, tot und lebendig. Denn im Nachtleben von Madrid lernt die Erzählerin später „die Frau, die ich war und nicht war, lärmend und schubsend“ herbeizuzitieren, bevor die Korrekturmaschine im Licht der Sonne aus ihr wieder den Torero macht, den starken Mann, der ihre Familie vor der Armut retten soll, einen lebendigen Kadaver, der die Handlungen einer Lebenden nur imitiert.

In seiner zweiten Hälfte erzählt der Roman eine fast schon klassische Geschichte der trans Literatur. Als junge Erwachsene lernt die Erzählerin in Madrid eine Gruppe von trans Frauen kennen, die, wie Mütter es tun, ihr Wissen und ihre Liebe weitergeben: „Ich hätte gern ihr Leben auf ähnliche Weise beeinflusst, damit es ein fairer Tausch gewesen wäre, aber ich begriff, dass von ihrer Seite gesehen wir Töchter immer in der Schuld stehen, dass wir niemals zurückgeben können, was sie uns geben oder was wir mitnehmen. Weil es nicht normal ist, das zu tun. Unsere Mission besteht darin, an andere weiterzugeben, was wir bekommen. Ich habe gelernt, dass bei geerbter Liebe die Genealogie als Wasserfallmodell funktioniert.

Alana S. Portero gelingt mühelos, was andere nicht schaffen: Altbekanntes klingt frisch, wo andere kitschig werden und die schlechte Gewohnheit haben, im Selbstmitleid zu versinken, überrascht Porteros Sprache mit Camp und Charme und ihr Blick mit einem Gespür für Zwischentöne. All das gelingt, weil Portero trotz der Gewalt, der Armut und des Drecks eine Geschichte schreibt über die Liebe, die Menschlichkeit und das Schöne.

Facebook
Twitter
LinkedIn

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert