„Ich kaufte zwei Shawarma und blieb noch, um zu zahlen. Er ging voraus, und wie er so ging, so schwerfällig mit der Schnauze im Shawarma, Bauch voran, dazu diese unproportional langen Arme, da hatte ich das Gefühl, er wäre ein gezähmter Zirkusbär, den man in der Stadt zwischen den Autos hat laufen lassen, der verwirrt war vom Hupen und dem Lärm, in dem er lebte – und alles, was er jetzt tun konnte, war, sich einen Herrn zu suchen. Und genau das zog mich an, diese verwirrte und blinde Kraft, dass er mich fickte und ich ihm zu essen gab.“
‚Soldaten: Geschichte aus dem Ferentari‘ von Adrian Schiop (aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme) ist eine der ältesten (queeren) Geschichten der Welt. Der autofiktionale Roman erzählt von der Affäre zweier Männer aus unterschiedlichen Welten, in der die Grenzen zwischen Lust, Liebe und Prostitution fließend sind. Man könnte auch sagen: Es ist kompliziert (Aber wann ist es das in Fragen der Liebe nicht?). Diese Geschichte hat in der queeren Literatur viele Vorbilder: Garth Greenwells ‚Was zu dir gehört‘, ‚Leidenschaftliche Liebe‘ von Luis Antonio de Villena oder auch ‚Der Puppenjunge’ von John Henry Mackay – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und doch ist Adrian Schiops ‚Soldaten‘ anders als alle diese Romane. Und das nicht nur, weil er einer der ersten queeren Romane Rumäniens ist.
Denn ‚Soldaten‘ ist zuallererst aber vor allem eins: ein Proust’sches Gesellschaftspanorama – wenn auch am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums. Im Zentrum steht nicht der Salon der Herzogin von Guermantes oder von Madame Verdurin, sondern der aus der Zeit gefallene Bukarester Stadtteil Ferentari mit seinen billigen Kneipen, bevölkert von Sandlern, Soldaten, Junkies, Gangstern und Schwanzlutschern. Einer dieser Schwanzlutscher ist der Erzähler von ‚Soldaten‘, ein Journalist, der seine Doktorarbeit über Manele-Musik schreibt und deswegen im Ferentari wohnt, denn „der Ferentari ist das letzte Viertel von Bukarest, in dem Manele noch Gesetz ist, und man wird nicht blöd angeguckt, wenn man ihn hört.“
Genau wie Prousts Erzähler ist er ein Außenseiter, der in eine fremde Welt eindringt und von dieser Zeugnis ablegt – und genau wie dieser vertrödelt auch Adrian Schiops Alter Ego seine Zeit, anstatt sich seiner Aufgabe zu widmen (wir erinnern uns: Prousts Erzähler will über ca. 4500 Seiten Schriftsteller werden, bekommt allerdings erst ganz am Ende die Kurve) – wenn auch mit Besäufnissen, Exzessen und Abstürzen. Und hier im Ferentari lernt er den Rom Alberto kennen, „ein riesiges Gespenst, das nach Knast stinkt, mit gebrochenem Nasenbein wie ein ehemaliger Boxer, mit einem Tattoo auf dem Hals und einer Old-School-Frisur, nach hinten gekämmtes geöltes Haar wie bei italienischen Mafiosi; na ja, vielleicht ist das gar nicht so wichtig, sondern seine Haltung, ein Schlägertyp mit einem brüchigen Lachen, das unvorhersehbar in Wut umschlagen kann.“
Alberto ist dick („Typ Bodyguard oder Verbrecher“) und entspricht somit genau dem Fetisch des Erzählers. Außerdem ist Alberto – vermeintlich – heterosexuell. Denn Schwule lassen den Erzähler körperlich kalt, nur Heterojungs vermögen es, seine Leidenschaft zu entfachen. Das ist umso interessanter, weil sich ja auch Proust (macht euch gefasst, diese Rezension wird größtenteils aus Proust-Vergleichen bestehen) in der Suche nach der verlorenen Zeit darüber mokiert, dass es das Schicksal aller Invertierten sei, sich zwangsläufig zu heterosexuellen Männern hingezogen zu fühlen, diese aber keine Gefühle für sie entwickeln können (weil der Vorstellung nach alle Invertierten ja im falschen Körper gefangen sind). Und am Rande soll auch erwähnt sein, dass Proust im wahren Leben in den heterosexuellen Alfred Agostinelli verliebt war (der im Roman zu Albertine wurde) und es sicherlich kein Zufall ist, dass diese beiden Heterojungs einen Namen haben, der mit dem gleichen Buchstaben beginnt.
Diese Vorstellung von Homosexualität ist natürlich so anachronistisch, dass sie hier nicht ganz ernst gemeint sein kann. Und tatsächlich ist in ‚Soldaten‘ nichts so wie es auf den ersten Blick scheint. Albertos Sexualität und seine Persönlichkeit sind nicht mit einfachen Kategorien beizukommen. Bereits als Kind ist er das erste Mal ins Gefängnis gekommen und hat insgesamt vierzehn Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Mal ist er ein Parasit, der seine Quelle finanziell ausnutzt, mal ein Missbrauchsopfer, das seine prägenden Jahre umgeben von Männern verbracht hat und nicht weiß, wie es mit Frauen umgehen soll, mal ist die Transaktion des Geldes nur ein Vorwand, etwas, was die schmutzige Sache dahinter adelt. Und all dem steht, der Erzähler gegenüber, der sich genauso wenig mit Ruhm bekleckert, Alberto aus seiner Welt reißt, ihn von sich abhängig und Versprechungen macht, die er nicht halten kann.
Und natürlich ließen sich auch abseits des Themas der Homosexualität weitere Vergleiche zu Prousts ‚Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘ ziehen. Auch bezüglich der Zeit – natürlich – ließe sich eine Menge erzählen. Aufgeteilt in zwei Teile – ‚Vergangenheit‘ und ‚Gegenwart‘ – nennt ‚Soldaten‘ das Jahr 2002, mit der Öffnung der Grenzen, dem Wegfall des einen Systems und dem Entstehen eines neuen, als Zäsur. Während Proust mit dem Ende des Ersten Weltkrieges die gesellschaftliche Neuformatierung beschreibt, beschreibt Adrian Schiop, wie mit dem Ende des Kommunismus neu zu Geld gekommene Emporkömmlinge die Bühne betreten.
‚Soldaten‘ ist die Geschichte einer Gesellschaft, die sich selbst noch finden muss, und zugleich das schonungslose und tragisch-komische Portrait einer zutiefst komplexen und von Machtgefällen dominierten Beziehung. Dabei verliert Adrian Schiop nie das Menschliche seiner Figuren aus den Augen und hat mit Alberto eine unvergessliche Figur geschaffen, die sich jeglichen Eindeutigkeiten entzieht. ‚Soldaten‘ ist mal komisch, mal traurig und immer herausfordernd.