Wojciech Kuczok – Dreckskerl

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Der Vater des alten K. hatte das Haus für seine Familie gebaut. Damals ist die Familie Teil des Adels, dann kommt der große Krieg. Was danach bleibt: Nur die nutzlos von den Decken hängenden goldenen Ketten, die an eine Zeit erinnern, in der man jederzeit das eigene Personal herbeirufen konnte. Ein tückisch alterndes Haus irgendwo in Schlesien, umgeben vom Schmutz und Gestank des Bergbaus. In die Wohnung des Personals, man kann sie sich nicht mehr leisten, zieht der Spodniak mit seiner Familie von der ‚Friedhofsstraße‘, wie die Deutschen die Straße der Totengräber genannt haben. Es ist der Anfang vom Ende.

Der große Krieg mag vorbei sein, doch nun herrscht der alte K., ein gescheiterter Künstler, als grausamer Kriegstreiber über Haus und Familie. Das kommunistische Regime hat aus den Polen ein Volk der desinteressierten und apathischen Zyniker gemacht, die von ihrem Hass längst zerfressen wurden. Glaube und Moral gibt es hier nicht. Am Scheitern des alten K. kann deswegen nur das kommunistische System schuld sein, das Kind – der titelgebende Dreckskerl – und die Dummheit seiner Mitmenschen. Wenigstens den Hund Rasse Schäferhund und das Kind Rasse Mensch kann der Patriarch und Tyrann mit der Peitsche züchtigen. In dieser Familie ist alles traurige Routine, mit dem eigenen Unglück hat man sich längst abgefunden. Sie sind die Generation der Vergifteten. Die Gewalt von außen, sie hat sich in den Menschen eingenistet.

Auch die Sprache in Wojciech Kuczoks Dreckskerl: Eine Antibiographie (in deutscher Übersetzung von Gabriele Leupold und Dorota Stroińska, der polnische Originaltitel Gnój bedeutet so viel wie Jauche) ist vergiftet. Immer wieder fallen Sätze, die schon damals von den Vorfahren der vergifteten Generation gesprochen wurden, oder werden in Klammern stehend eingeschoben, als würde ein göttlicher Chor die Tragödie der Familie aus dem Off kommentieren. Jenseits jeglicher Sentimentalität erzählt Kuczok seine ganz und gar nicht fröhliche Geschichte mit Humor. Denn in der Komik liegt die Tragik. In dieser Antibiographie gibt es keine Vergangenheitsbewältigung, keine Überwindung der Traumata. Dreckskerl steuert von der ersten Seite an geradewegs auf die apokalyptische Katastrophe zu.

Die Homosexualität (oder vielleicht auch die Bisexualität) vom Dreckskerl ist alles andere als offensichtlich, die wenigsten Kritiker*innen haben sie in ihren Besprechungen erwähnt, man benötigt sozusagen Adleraugen, um sie zu erspähen, oder vielleicht auch ein gewisses Gespür. Sie liegt im Text verborgen hinter Vermutungen und Andeutungen. Das vage Gefühl vom Dreckskerl, schon als Kind anders zu sein, die vom alten K. in einem Nebensatz geäußerte Befürchtung, er könne ‚andersrum‘ sein. Lediglich dem Bruder des alten K. wird offen der Vorwurf gemacht, er könne homosexuell sein – der wäre jedoch nur zu gerne ein Weiberheld, allerdings versteht seine Litaneien herunterbetende Schwester es nur zu gut, ihn von den fleischlichen Gelüsten fernzuhalten. Für die abweichende Sexualität des Sohnes gibt es keine Sprache, sie soll gemeinsam mit jeder Form von Schwäche ausgemerzt werden („Hände auf die Bettdecke!“).

Dreckskerl hält darüber hinaus aber auch eine Anspielung auf den Vertreter der homosexuellen Literatur par excellence parat. „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.“, heißt es an gleich zwei Stellen, es sind die berühmten ersten Worte von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Dies sind auch die aus der Recherche zitierten Zeilen aus Witold Gombrowicz‘ Ferdydurke. Und – zumindest in der deutschen Übersetzung – wird der Dreckskerl an zentraler Stelle ‚Rotzbengel‘ genannt, wie sich auch bereits Józio, der Protagonist aus Gombrowicz‘ Roman, schimpfen lassen musste. Im Roman wie in der Gesellschaft: Homosexualität, die Sünde ohne Namen, die sich nur in Anspielungen und Andeutungen ausdrücken lässt. Kuczok hat aber auch wie zum Beispiel Im Kreis der Gespenster explizit über Homosexualität geschrieben.

Nicht nur in Zeiten von LGBT-ideologiefreien Zonen ist dieser wütende und 170 Seiten kurze Roman absolut lesenswert. Kuczok haut einem mit seinem Dreckskerl den Dreck und die Jauche um die Ohren – von einem Autor wie ihm lässt man sich das aber nur zu gern gefallen.

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