Es beginnt mit einem Brief, einem Blick in die Vergangenheit und das Heimatland, das einem in der Ferne fremd zu werden droht. Es beginnt mit dem Versuch, Herr über die eigenen Erinnerungen zu werden, sie nennbar zu machen. Swimming in the Dark, der Debütroman von Tomasz Jedrowski, ist ein beeindruckendes Stück Literatur und Hommage an seine Vorfahren.
Polen, 1980: Zum Ende seines Literaturstudiums fährt fährt der 22-jährige Ludwik mit seiner Klasse in ein Agrikulturcamp, wo er Janusz kennenlernt. Es ist ein in Polen verbotenes Buch, das sie einander näherbringt: Versteckt in einem fremden Buchdeckel liest Ludwik James Baldwins Giovanni’s Room und teilt sein Geheimnis mit Janusz. Die beiden verbringen den Sommer in der Abgeschiedenheit der Natur, wo sie ihre Gefühle frei leben können. Das Ende des Sommers bedeutet eine Rückkehr in die Stadt. Weil ihr Geheimnis sie im herrschenden Kommunismus erpressbar macht, beginnt ein Versteckspiel. Was bedeutet Freiheit und welche Kompromisse ist man bereit einzugehen? Janusz ist bereit sich das System zunutze zu machen, Ludwik droht an ihm zugrunde zu gehen.
Ludwik selbst stammt aus einem Dorf, in dem auf den Briefkästen noch das deutsche ‚Briefe‘ steht. Die Familie seiner Großmutter stammt aus einem Ort, der jetzt zu Russland gehört, sie wurden ebenso umgesiedelt wie die früheren deutschen Bewohner seines Dorfes. Lange Zeit konnte die polnische Kultur heimlich und in abgedunkelten Kellerräumen von Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden. Aber was bedeutet Zugehörigkeit überhaupt noch, wenn man wie Ludwik in ein fremdes Land wie Amerika geflüchtet ist? Jedrowski spiegelt die Frage der Herkunft mit der Frage der homosexuellen Identität. Sein Wissen über die schwule Subkultur erhält Ludwik ebenso im Verborgenen: In Bars, in Cruising Parks, wo die Männer ihre Biographien miteinander teilen, und natürlich in der Literatur.
James Baldwins (schwuler) Klassiker Giovanni’s Room liegt wie eine Schablone unter dem Text in Form von Motiven, Themen und der gesamten Komposition des Romans. Greifbar ist das Buch aber vor allem im Leben der beiden Figuren, die es lesen, sich darüber unterhalten und sich immer wieder mit David und Giovanni vergleichen. Und diese Kreise lassen sich immer weiterziehen: Baldwin selbst hat für eine Weile in Frankreich gelebt, wo auch Giovanni’s Room spielt, weil er nur aus der Ferne – so wie Ludwik in Swimming in the Dark – sich dem Thema nähern konnte. Jedrowski selbst ist als Sohn polnischer Einwanderer im Westen Deutschlands aufgewachsen, hat in England studiert und wohnt nun mit seinem Partner in Paris.
Swimming in the Dark erzählt keine neue Geschichte und enthält die typischen Elemente der schwulen Literatur. Das macht aber überhaupt nichts aus, weil das Buch so souverän und empathisch und aus einer ganz eigenen Perspektive erzählt wird. Und am Ende hat diese ewige Wiederkehr auch etwas Beruhigendes, weil sie uns zeigt, dass wir eine Vergangenheit und eine eigene Geschichte haben.