Reinaldo Arenas – Bevor es Nacht wird: Ein Leben in Havanna

Reinaldo Arenas - Bevor es Nacht wird

„Meine Autobiographie hatte ich bereits in Kuba begonnen, davon später mehr. Ich hatte sie Bevor es Nacht wird genannt, weil ich mich in einen Park geflüchtet hatte und schreiben musste, bevor die Nacht hereinbrach. Nun rückte die Nacht wieder heran, noch bedrohlicher. Es war die Nacht des Todes.“

Reinaldo Arenas beginnt seine Geschichte am Ende, denn das Ende ist gewiss. Zwar ist ihm 1980 die Flucht aus Kuba geglückt, doch als er 1987 die Arbeit an seiner Autobiographie fortsetzen kann und sie 1990 schließlich beendet, ist er bereits schwer von seiner AIDS Erkrankung gekennzeichnet. Allerdings ist Bevor es Nacht wird (aus dem Spanischen von Thomas Brovot und Klaus Laabs)kein Text über AIDS. Trotzdem teilt er eines der wichtigsten Motive mit den Vertretern dieser Literatur: im Angesicht von AIDS bedeutet Schreiben zu leben. Es bedeutet mehr Leben in weniger Zeit unterzubringen, es bedeutet eine gesteigerte literarische Produktivität, das Lebenswerk zu beenden, bevor die Nacht endgültig hereinbricht.

Das Leben Reinaldo Arenas‘ ist geprägt von Entbehrung. Die Armut im Land ist groß, der erste Geschmack, an den er sich erinnert, ist Erde. Er wächst im Haus seiner Großeltern auf, das von Tanten und Schwiegertöchtern bevölkert wird, alles sogenannte „sitzengelassene“ Frauen. Auch seine Mutter ist eine dieser Frauen, sein Vater hat sich nach nur drei Monaten Ehe aus dem Staub gemacht. Als Jugendlicher schließt er sich den Rebellen Fidel Castros gegen das Batista-Regime an, die wenigsten wollen glauben, dass Kuba von einer Diktatur in die nächste übergeht.

Im Kuba von Fidel Castro werden Homosexuelle verhaftet und auf landwirtschaftlichen Produktionsfarmen zu menschenunwürdigen Bedingungen als Zwangsarbeiter eingesetzt. Weil er seine Homosexualität nicht offen auslebt, kann er ein Studium als Agrarbuchhalter beginnen. Bei einem Literaturwettbewerb wird allerdings sein literarisches Talent erkannt und eine der Verantwortlichen setzt sich dafür ein, dass Arenas in die Nationalbibliothek versetzt wird. Hier lernt er die Schriftsteller José Lezama Lima und Virgilio Piñera (von dem lediglich Kleine Manöver ins Deutsche übersetzt wurde) kennen, welche zu seinen Lehrmeistern werden und sein Talent fördern. Diese Freundschaften, und wie sie das Werk Arenas‘ beeinflussen, zeigen einmal mehr, dass die biographischen und literarischen Verflechtungen innerhalb der queeren Literatur oft eine übergeordnete Rolle spielen.

Reinaldo Arenas schriftstellerische Karriere in Kuba ist allerdings nicht von Dauer, lediglich sein erster Roman wird veröffentlicht. Weil er kritische Texte schreibt und er seine Homosexualität offen zu leben beginnt, wird er schnell zum Konterrevolutionär erklärt. Die Konsequenz: Zensur, Verfolgung, Arbeitslager, Gefängnis, Folter.

Nur noch den wenigsten kann Arenas vertrauen. Es ist kaum möglich, dem Überwachungsapparat in Form der Staatssicherheit zu entkommen. Sowohl von seiner Familie als auch seinen Freunden wird er verraten. Die Diktatur bringt das Schlechteste im Menschen hervor, sie will alles Schöne vernichten. Trotz aller Schrecken beschreibt Arenas auch ein Havanna, in dem das Leben pulsiert und eine sexuelle Revolution stattfindet.

Entsprechend drastisch ist die Darstellung der Homosexualität. Mit ungefähr 5000 Männern, so schätzt Arenas mit Mitte 20, hat er bereits geschlafen. Das ist ein wenig Prahlerei, aber vor allem Rache. Denn die Radikalität, mit der hier das mann-männliche Begehren geschildert wird, ist eine Waffe, mit der sich der Schriftsteller gegen jegliche Vereinnahmung zur Wehr setzt.

Auch zu schreiben bedeutet, sich zu rächen. Immer wieder werden Arenas‘ Manuskripte von der Staatssicherheit konfisziert, einige seiner Texte schreibt er dreimal. Insgesamt gilt die Hälfte seines Werkes deswegen als verschollen. Mit Hilfe von Freunden schafft er es allerdings einige seiner Manuskripte außer Landes zu schmuggeln und sie im Ausland zu veröffentlichen. Das macht ihn umso mehr zur Zielscheibe der Staatssicherheit, bietet ihm gleichzeitig aber auch einen gewissen Schutz.

Geholfen haben Arenas diese Veröffentlichungen nach seiner Flucht wenig. Viele Verleger weigern sich, ihn für seine bereits veröffentlichten Manuskripte zu bezahlen. In linksintellektuellen Kreisen wird er aufgrund seiner anhaltenden Kritik an Fidel Castro (mit dem Schriftsteller Gabriel García Márquez geht er ebenso hart ins Gericht) angefeindet. Auch das ist einer der Gründe, warum das Werk Reinaldo Arenas‘ in Deutschland kaum erschlossen ist. Vor allem aufgrund der Verfilmung durch Julian Schnabel ist Bevor es Nacht wird, im Gegensatz zu seinen anderen Texten, allerdings weiterhin äußerst präsent.

„Mich gab es schon nicht mehr. [] Ich fand es immer erbärmlich, um das Leben zu betteln wie um einen Gefallen. Entweder man lebt, wie man es sich wünscht, oder es ist besser, nicht weiterzuleben. In Kuba hatte ich Not und Elend ertragen, weil mir die Hoffnung auf Flucht und die Aussicht, meine Manuskripte zu retten, Kraft gaben. Jetzt war die einzige Flucht, die mir blieb, der Tod.“

Reinaldo Arenas erzählt Bevor es Nacht wird: Ein Leben in Havanna in einer auf das Nötigste beschränkten Sprache, aber auch mit einem gewissen Sinn für Humor. Das ist schwer zu ertragen, aber äußerst effektiv.  Zu schwach, um weiter zu schreiben und für die Freiheit Kubas zu kämpfen, entscheidet sich Reinaldo Arenas 1990 für den Freitod: „Meine Botschaft ist keine Botschaft der Niederlage, sondern des Kampfes und der Hoffnung. Kuba wird frei sein. Ich bin es schon.“

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