Pedro Almodóvar – Der letzte Traum

Pedro Almodóvar - Der letzte Traum

„Als Filmemacher habe ich mitten in der Explosion der Postmoderne begonnen: Die Ideen kamen von überallher, alle Stile und Epochen existierten nebeneinander, es gab weder Vorurteile gegenüber Genres noch Ghettos. Es gab auch keinen Markt, nur die Lust am Leben und Erschaffen. Der ideale Nährboden für jemanden wie mich, der die Welt erobern wollte.“

Der letzte Traum‘ von Pedro Almodóvar (aus dem Spanischen von Angelica Ammar) versammelt zwölf Erzählungen, die er zwischen 1967 und 2022 anstelle einer Autobiografie geschrieben hat. Wie auch seine Filme sind die Texte ein Spiel mit Fakt und Fiktion und verraten deswegen mindestens genauso viel über den Filmemacher.

Fans von Almodóvar werden viele der Themen in den Erzählungen aus seinen Filmen bekannt sein. ‚Die Spiegelzeremonie‘ beispielsweise lässt Katholizismus und Homoerotik aufeinanderprallen, allerdings in einer klassischen Horrorgeschichte wie Bram Stokers ‚Dracula‘. Die erste Erzählung ‚Der Besuch‘ beschreibt währenddessen das folgenschwere Aufeinandertreffen eines Priesters mit der Schwester eines ehemaligen Schülers, in dem sich in einer Mischung aus Melodramatik, Camp und dem Spiel der Geschlechter die gesamte Gewalt und der Machismo der katholischen Kirche entfesseln.

Die Erzählungen mögen nicht autobiografisch sein, trotzdem verraten sie viel über Almodóvar und auch die Schauspieler*innen, mit denen er sich immer wieder in seinen Filmen umgibt. Nur wenig verschleiert erzählt die Geschichte ‚Zu viele Geschlechtsumwandlungen‘ über ein schwules Paar – der eine Regisseur, der andere Schauspieler – von der kollaborativen und auch komplexen Beziehung zwischen Almodóvar und Antonio Banderas.

Ob ‚Alles über meine Mutter‘ oder ‚Parallele Mütter‘ – die Figur der Mutter spielt in seinen Filmen wie auch in seinen Erzählungen eine zentrale Rolle: „»Die Leute denken, Kinder hat man einen Tag. Aber es dauert lange. Sehr lange«, heißt es bei Lorca. Mütter hat man auch nicht einen Tag. Und sie müssen gar nichts Besonderes tun, um wichtig, zentral, unvergesslich, didaktisch zu sein.“ Das ist wenig verwunderlich, lernt Almodóvar doch von seiner eigenen Mutter „etwas Entscheidendes für meine Arbeit […], den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion und dass die Wirklichkeit durch die Fiktion ergänzt werden muss. Um das Leben leichter zu machen.“

In diesem Sinne sind natürlich alle seine Filme und Texte wahrhaftig. Almodóvar spielt glücklicherweise augenzwinkernd mit dieser Metaebene über sein kreatives Schaffen und versucht sein Werk nicht mit großspurigen Worten zu erklären. Dafür lässt er dann auch noch einmal in ‚Bekenntnisse eines Sex-Symbols‘ seine Kultfigur Patty Diphusa (über die er übrigens auch einen Roman geschrieben hat, an den sich aber niemand mehr zu erinnern scheint) auferstehen: „Ich möchte eine Geschichte schreiben, und so habe ich mich als Erstes gefragt, was ich wohl erzählen könnte, welches Thema der Beschäftigung denn wert ist. Und da kam mir eine zugegebenermaßen geniale Idee: Ich werde über mich selbst schreiben. Denn, habe ich mir gedacht, warum soll ich mir eine Figur ausdenken, wenn ICH längst eine bin, warum eine lustige und aufschlussreiche Geschichte erfinden, wenn MEINE es schon ist?“

Der letzte Traum‘ vereint einen bunten Reigen an Genres wie Märchen, Horrorgeschichten, Beziehungsdramen und -komödien und auch tagebuchähnlichen Texten. Oft lassen sich die Texte wie auch seine Filme keinem Genre eindeutig zuordnen, einen Zustand, den auch ‚Zu viele Geschlechtsumwandlungen‘ voller Selbstironie reflektiert: „Die unvorstellbarsten thematischen Mixturen, ein unbändiger postmoderner Geist, der sich respektlos und gewaltsam über seine eigenen Grenzen als Schauspieler hinwegsetzte und sich Figuren und Autoren aneignete, die bisweilen eine widernatürliche Herausforderung darstellten.“ Und sicherlich ließe sich dieses Unkategorisierbare, dieses Fluide von Almodóvars Schaffen nicht nur als postmodern bezeichnen, sondern auch als queer?

Auch wenn Almodóvar selbst schreibt, dass er kein Interesse daran hat, Tagebuch zu führen oder eine Autobiografie zu schreiben, widmet er sich in einigen wenigen Erzählungen auch diesen Genres. Während das titelgebende ‚Der letzte Traum‘ unmittelbar vom Tod seiner Mutter berichtet, ist ‚Erinnerung an einen leeren Tag‘ eine Reflektion über Einsamkeit und die Kunst (und über das New York der 1980er, Andy Warhol, RuPaul und Lady Bunny). Diese Texte sind nicht nur erhellend und mit gerade genug Namedropping, um erahnen zu lassen, was für ein bewegtes Leben Almodóvar geführt hat, sie erstaunen auch, weil er trotz seines Widerwillens diese Formen meisterhaft beherrscht. Viele Fans werden nach der Lektüre dieser beiden Erzählungen wohl umso enttäuschter sein, dass der Filmemacher keine Autobiografie schreiben möchte. Letzten Endes ist das aber vollkommen egal, denn was Almodóvar stattdessen abliefert, ist mindestens genauso gut.

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