Isabel Waidner – Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken

Isabel Waidner - Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken

Ich bin Sterling. Meinen Vater holte AIDS, meine Mutter der Alkoholismus. Mein Land die Konservativen, meine Sprache PTBS. Hab aber dieses England. Hab diesen Körper, dieses reine Herz.

Es ist so erfreulich wie erstaunlich, dass ein Roman wie Isabel Waidners ‚Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken‘ (aus dem Englischen von Ann Cotten) ins Deutsche übersetzt wurde. Denn dieser Roman ist jenseits aller bürgerlichen Konventionen, er gehört zu der Art von Literatur, die vom klassischen deutschen Literaturbetrieb in der Regel schlichtweg ignoriert wird und höchstens in den kleinen und unabhängigen Verlagen ein Zuhause finden würde. Dass der Roman im Publikumsverlag DuMont veröffentlicht wurde, ist dann wiederum weniger verwunderlich. Immerhin ist hier auch Kim de l’Horizons Debütroman ‚Blutbuch‘ erschienen. Ebenso erwähnenswert ist, dass Isabel Waidner aus Deutschland stammt, aber in England lebt und auf Englisch schreibt – wie auch Katharina Volckmer. Ganz offensichtlich (und ebenso wenig verwunderlich) scheint ein gewisser Abstand zu Deutschland der mit Konventionen brechenden Literatur gut zu tun.

Waidner stellt schon allein dadurch gängige Konventionen auf den Kopf, indem they im Original bis auf wenige Ausnahmen für fast alle Figuren they/them Pronomen verwendet. Um diesem Aspekt gerecht zu werden, hat sich Ann Cotten für die deutschsprachige Übersetzung für das sogenannte polnische Gendering entschieden, eine Technik, die sie bisher vor allem in ihren eigenen Gedichten verwendet hat. Beim polnischen Gendering werden in zufälliger Reihenfolge alle Buchstaben, die für das weibliche und männliche grammatikalische Geschlecht notwendig sind, an das Wort gehängt, so dass ‚Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken‘ voll ist von Freundnnnie, Stierkämpfernnnie, Politikernnnie und Despotnnnie. Das ist im besten Sinne ‚befremdlich‘, weil es Lesernnnie mit den eigenen Überzeugungen und Vorstellungen von einem binären Geschlechtersystem konfrontiert und ins Wanken bringt.

Auch auf der narrativen Ebene stellt Waidner Konventionen auf den Kopf (und an dieser Stelle soll auch verziehen sein, dass ich die Konventionen einer klassischen Rezension ignoriere und erst jetzt auf die Handlung des Romans eingehe). Im Fall von ‚Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken‘ ist auch der in Besprechungen oft verwendete Begriff ‚kafkaesk‘ kein wahllos in den Raum geworfenes Adjektiv, um Waidners Text irgendwie zu erfassen, ähnelt die Ausgangslage des Romans doch der von Franz Kafkas ‚Der Prozess‘. Protagonistnnnie Sterling wird auf der Delancey Street in Camden Town von sechs oder sieben Stierkämpfernnnie mit englischen banderillas, mit Widerhaken versehenen Stecken, attackiert. Retten kann sich Sterling nur mit einer Finte, mit einem Unentschieden wie auf dem Fußballfeld, doch ein Unentschieden gibt es beim Stierkampf nicht, der Stier muss immer sterben. Der Kampf wird vor Gericht fortgesetzt in einem skurrilen Prozess autorisiert von einer unbekannten juristisch-öffentlichen Körperschaft.

All das erinnert natürlich an die reale Bedrohung, die queere und vor allem trans Menschen ausgesetzt sind, und daran, dass sie vor Behörden und vor dem Gesetz trotzdem immer wieder ihre Menschlichkeit beweisen müssen. So greift Waidner dann auch die (reale) Geschichte des Schwarzen und schwulen Fußballers Justin Fashanu, den die Briten auf dem Feld liebten und verehrten und der sich nach einem Erpressungsskandal das Leben genommen hat: „[A]ber wir wollten dich dann nicht mehr in den späten 1990ern, als du dich in einer Garage in Shoreditch, Fairchild Place, erhängtest, nach dem Abend deines letzten Besuchs in Chariots Roman Spa, der örtlichen Schwulensauna gegenüber“.

Doch Waidner thematisiert nicht nur Klassismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit, sondern auch queere Solidarität und queeren Widerstand, die mithilfe eines UFOs und Google Street View sogar die Gesetze von Zeit und Raum sprengen. Diese Raumschiffe „bestätigen, was wir schon immer wussten, nämlich, dass wir in einer unterdurchschnittlichen Fiktion leben, wo die Dinge einfach nicht ganz stimmen.“ Waidner entführt die Lesernnnie in eine alternative Welt, in der Franz Beckenbauer an AIDS gestorben ist und die Dinge leicht bis mittelschwer verrückt sind, und in der die Figuren keine andere Wahl haben, als einer Traumlogik zu folgen, die es ihnen aber auch ermöglicht, sich am Rand eine eigene Welt zu errichten in Form des Amateurfußballs oder in Form von spontan inszenierten Performances.

Kafkaesk oder Lynchian, das sind oft Begriffe, die verwendet werden, wenn uns ein Medium den Boden unter den Füßen wegzieht und uns die Kehrseite der uns vertrauten Welt vor Augen führt. Es wäre leicht Waidners ‚Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken‘ mit solchen Adjektiven zu beschreiben, doch they schreibt Texte, die es verdienen, dass Waidners Name in Zukunft als Vergleich zu Rate gezogen wird. Dieser schmale Text gleicht einem wilden Rott in einem UFO durch Raum und Zeit und an den Rand des Vorstellbaren und muss am besten selbst erlebt werden. Denn hier hat alles eine Bedeutung und alles steht miteinander in Verbindung.

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