Am 01. Dezember 2020 outet sich der Schauspieler Elliot Page über Social Media als trans. Mit diesem Schritt an die Öffentlichkeit bietet er unzähligen jungen trans Menschen ein Vorbild – und auch jemanden, der aufgrund seiner Position und seiner Privilegien für sie und ihre Rechte öffentlichkeitswirksam eintreten kann. In ‚Pageboy‘ (aus dem Englischen von Stefanie Frida Lemke, Lisa Kögebohn und Katrin Harlaß) erzählt er nun seine Geschichte.
‚Pageboy‘ ist nicht linear erzählt, „denn Queersein ist auch nicht linear, ist ein verschlungener Weg.“ Page beschreibt dieses Schreiben als eine Annäherung an sich selbst, als ein Herantasten an die eigene Wahrheit, dessen Kern die eigene Transidentität ist: „Ich habe so verdammt viele Kehrtwenden gemacht, dass mein Gedächtnis durch das ständige Schwindelgefühl wohl einige Aussetzer hatte. Denn das, was Bea da sagte, löste auf einmal jede Menge Flashbacks aus. Bilder von Freund*innen ploppten auf, die ich danach gefragt und denen ich es erzählt hatte. Und wieder und wieder hatte ich es verdrängt und verdrängt und verdrängt.“
Dieses Herantasten ist eine Geschichte über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater und der Liebe zu seiner Mutter, dem doppelten Outing in der Öffentlichkeit – zuerst als queer, dann als trans –, seiner Hollywood-Karriere und dem damit einhergehenden Druck, bestimmten Normen zu entsprechen. Vor allem in diesem Kontext benutzt Elliot Page seine alten Pronomen (was nicht als Einladung verstanden werden soll, es ihm gleichzutun), also immer dann, wenn er als Frau gelesen wurde und seine Umwelt von ihm verlangt, ein sehr spezifisches Bild von Weiblichkeit zu erfüllen.
Gerade in diesem Vortex aus Misogynie, Queerfeindlichkeit und Macht offenbart sich, warum die Filmindustrie wie unter einem Vergrößerungsglas die Kämpfe, Widerstände queerer und trans Menschen und die Angriffe auf sie um ein Vielfaches vergrößert offenbart. Denn hinter der vermeintlichen Progressivität Hollywoods steckt kapitalistisches Kalkül, keine echten Werte. Das ständige Anzweifeln und Attackieren der eigenen Sexualität und des eigenen Geschlechts, Genderdysphorie und eine damit einhergehende Essstörung, sexuelle Übergriffe – über all diese Erfahrungen in der Filmindustrie schreibt Elliot Page, Erfahrungen, die viele trans und queere Menschen mit ihm teilen.
Ich habe nicht sofort Zugang zu Elliot Pages Geschichte gefunden und der Grund ist denkbar einfach: Diese Geschichte ist nicht für mich geschrieben. Natürlich ist das nicht mein Anspruch an Literatur und die Beobachtung ist denkbar offensichtlich – so offensichtlich, dass es vielleicht nicht verkehrt ist, sich bei der Lektüre bestimmter Texte zu fragen: Für wen ist dieser Text geschrieben?
Denn ‚Pageboy‘ ist neben einer Autobiografie auch ein politisches Buch mit einem sehr bestimmten Anliegen: „Über die Vielzahl unserer Erfahrungen zu schreiben und zu lesen, sie zu teilen, ist ein wichtiger Schritt im Widerstand gegen all jene, die uns unsichtbar machen wollen. Ich habe nichts Neues oder Tiefgründiges zu sagen, nichts, was nicht schon vorher gesagt worden wäre, aber ich weiß, dass Bücher mir geholfen, mich sogar gerettet haben, und vielleicht kann auch dieses Buch anderen dabei helfen, sich gesehen und weniger allein zu fühlen, egal, wer sie sind und auf welcher Reise sie sich befinden.“
Elliot Page schreibt für junge Menschen, für jene, die noch auf der Suche sind nach sich selbst und ihrem Weg. Page schafft es auf inhaltlicher wie auch auf formaler Ebene sehr gekonnt, dieses Vorhaben zu vereinen. Er schreibt über die Tief- und die Höhepunkte seines Lebens. Er möchte Leser*innen zeigen, dass sie nicht allein sind in ihren Kämpfen, ihnen gleichzeitig aber auch Mut machen. Und deswegen ist dieses Herantasten an die eigene Wahrheit auch eine Geschichte über Gendereuphorie, das Gefühl ganz bei sich und im eigenen Körper zu sein, eine Geschichte über Freund*innen, die einem beistehen und retten, dem Ankommen in einer queeren Community, eine Geschichte über Liebe und über (guten) Sex. Page schreibt in einem locker leichten Ton, einem Ton, der mir als erwachsener Mann etwas fremd ist, doch wenn ich in mich reinhorche, mir durchaus bekannt vorkommt und als Jugendlicher auch wahrscheinlich viel bedeutet hätte.
Elliot Page widmet seine Autobiographe all jenen, die vor ihm kamen. Mit ‚Pageboy‘ erzählt er nicht nur seine Geschichte, er bietet seinen Leser*innen eine Identifikationsfigur. ‚Pageboy‘ ist ein Buch, das Mut macht und sehr wahrscheinlich wie all jene Geschichten, die ihn selbst geholfen haben, Leben retten wird.