Douglas Stuart – Young Mungo

Douglas Stuart - Young Mungo

„Mungo rieb sich die Stirn. «Hast du mir gerade ne Kopfnuss gegeben?»
«Wenns dir lieber ist, sagen wir, es war ne Kopfnuss?» Das Lächeln auf seinen Lippen verflüchtigte sich wieder.
«Quatsch.» Mungo sah sich auf dem Hügel um, und dann küsste er James schnell auf den Mund. Es war wie heißer gebutterter Toast, wenn man am Verhungern war. Es war so gut.“

Glasgow in den 90er Jahren: Mungo ist gerade 15 Jahre alt, von Schottland und der Welt hat er nichts gesehen. In seiner begrenzten Welt herrscht Armut und Arbeitslosigkeit, auf den Straßen bekriegen sich die Protestanten mit den Katholiken. Wie so viele andere auch war seine Mutter bei der Geburt ihrer Kinder zu jung. Sie hat sich dem Alkohol hingegeben, trinkt sie zu viel, kommt das Monster Tattie-Bogle zum Vorschein. Sein Schicksal ist es, ein Mädchen zu schwängern, und sich seinem Bruder Hamish, genannt Ha-Ha, in seinem Bandenkrieg anzuschließen. Doch Mungo lernt den melancholischen James kennen. Und mit ihm öffnen sich die Grenzen seiner Welt.

Young Mungo von Douglas Stuart (aus dem Englischen von Sophie Zeitz) erzählt seine Geschichte auf zwei Zeitebenen, dem Januar davor und dem Mai danach. Beides Geschichten über einen Initiationsritus, beides Geschichten, welche die Möglichkeiten von Männlichkeiten verhandeln, ihren Gefahren – und auch ihrer Unschuld.

Der Mai danach erzählt von einer Reise: Gemeinsam mit Gallowgate und St. Christopher, zwei Alkoholikern, denen seine Mutter ihn anvertraut hat, fährt Mungo für ein Wochenende an einen abgelegenen See irgendwo im Norden Schottlands. Er soll lernen, ein Zelt aufzubauen, ein Lagerfeuer zu errichten, zu angeln – aus ihm soll endlich ein richtiger Mann werden. Dem gegenüber steht der Januar davor, der von der Initiation der Liebe erzählt. Denn ausgerechnet in James, den Wahren, den Guten, verliebt sich Mungo.

Douglas Stuart erzählt eine moderne Romeo-und-Julia-Geschichte. Denn die Liebe zwischen Protestanten Mungo und dem Katholiken James, ist gefährlich. Sie benutzen ihre Hände, um den Körper des jeweils anderen zu erkunden, nicht, um sie zu bewaffnen und den Körper des Gegenübers zu vernichten. Diese unzählige Male erzählte Geschichte ist erstaunlich, weil Stuart mit den Klischees spielt, genauso schnell aber mit ihnen bricht.

Es stimmt: Mungo ist zu zart und zu zerbrechlich für die Härte des Glasgower Arbeiterviertels und für die Bandenkriege, die sein Bruder Hamish mit der Strenge eines Offiziers führt. Doch Mungo entspricht nicht dem klassischen Bild des schwulen Außenseiters, wie ihn die queere Literatur so oft hervorgebracht hat, der strebsam ist, eine Art Erlöser, der sich durch Bildung von den Fesseln seiner Herkunft befreien wird. Diese Rolle übernimmt viel mehr Jodie, Mungos ältere Schwester. Vielleicht will Mungo nicht einmal gerettet werden, vielleicht ist er zu abhängig von der Liebe, die er seiner alkoholkranken und selbstsüchtigen Mutter aufopfert: „Ihr Bruder war Mo-Maws Nebenmond, ihre wärmste Sonne, und zur gleichen Zeit ein kleiner Trabant, den sie vergessen hatte. Er würde sie bis in alle Ewigkeit umkreisen, selbst wenn sie, und dann er, in Stücke zersprang.“

Die Liebe der beiden Jungen ist mal zärtlich, mal ein Raufen, mal gleicht sie einem Wunschtraum, mal gleicht sie den Blödeleien zweier pubertierender Jungen. Stuart gibt seinen Figuren genug Freiraum, um nicht nur eine Sache zu sein. Sie widersprechen sich, sind fehlerbehaftet, sind menschlich.

Ein Aspekt des Romans, der immer wieder in den Fokus gerät, ist die Darstellung von (sexualisierter) Gewalt. Dabei scheint mir die Fokussierung und die Rezeption dieses Aspekts vor allem ein Problem der Lesenden zu sein und nicht ein Problem des Textes. Zum einem, weil die explizit dargestellte Gewalt der Notwendigkeit geschuldet ist, dieser gerecht zu werden, zum anderen auch weil Stuarts Erzähler in den entscheidenden Momenten – vor allem, was die sexualisierte Gewalt betrifft – ausblendet und dem emotionalen Trauma seiner Figur Raum gibt.

«Mungo Hamilton, du bist ein kleiner Taugenichts.»
Der Briefkasten schnappte wieder zu. Mungo setzte sich auf. Eine kleine Pause entstand, bevor der Deckel wieder aufging. «Aber ich lieb dich trotzdem.» Er klappte zu, dann sprang er wieder auf. «Du kleiner Scheißer.»

Diese Fokussierung ignoriert aber auch, dass Young Mungo keine Geschichte erzählt, die sich im Leid ihrer Figuren suhlt und dieses ausschlachtet. Denn Stuart erlaubt seinen Figuren auch zu lachen, zu lieben, sich zu freuen, Träume zu hegen und Glück in den kleinen Momenten zu finden. Innerhalb der Grenzen ihres Lebens besitzen diese Figuren Handlungsmacht, sie sind keine bloßen Opfer. Das zu ignorieren, passiert zum Schaden des Textes – und spricht meines Erachtens für einen begrenzten und priviligierten Blickwinkel.

Young Mungo, Douglas Stuarts zweiter Roman nach Shuggie Bain, ist ein Buch über die Grenzen(losigkeit) der Liebe, über Gewalt und Männlichkeiten, über Un(schuld) und Erlösung. Ein Roman, in dessen Zentrum dank der Subtilität seines Autors ein liebenswerter Held steht, wie ihn die (queere) Literatur bisher kaum gesehen hat.

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