Detlev Meyer – Biographie der Bestürzung

Detlev Meyer - Biographie der Bestürzung

Detlev Meyer galt als „einziger Dandy der deutschen Gegenwartsliteratur“ und als der „kleine Bruder von Oscar Wilde“. Und versuchte man seine Biographie der Bestürzung kurz zusammenzufassen, entstünde womöglich der Eindruck, er wäre ein typischer Vertreter der schwulen Literatur, lediglich einer von vielen, den man mit einfachsten Vergleichen einfangen könnte. Das wäre ein Irrtum.

Die Biographie der Bestürzung umfasst drei Romane von Detlev Meyer: Im Dampfbad greift nach mir ein Engel (1985), David steigt aufs Riesenrad (1987) und Ein letzter Dank den Leichtathleten (1989). Im Aufbau Taschenbuch Verlag ist die Romantrilogie unter dem Titel Im Dampfbad greift nach mir ein Engel: Drei Romane erschienen. Im Fokus der Bücher steht das alter ego des Schriftstellers Dorn, auch bekannt als Tasso Tarzan, Harry Graf Einsiedel und Lucy Lehmann, der lichtscheue Lyriker. Von einem Ich zu sprechen, fiel nicht nur Schernikau schwer.

Irgendwo zwischen Weltschmerz, Depression und Lebenslust flaniert Dorn durch die Straßen von Berlin der 80er Jahre, treibt sich mit den Lederkerlen und Jeanstypen in den Schwulenbars herum, trinkt mit einer Liebschaft in der Wanne Fürst Metternich (Champagner ist zu aufdringlich) und hat eine unaufgeregte Beziehung mit Viktor.: „Wäre er nicht so pervers, er ginge in den Volkspark und hielte Händchen mit Viktor. Mit welcher Hand? Die rechte schwingt die Peitsche, die linke führt die Poppersflasche zur Nase. Kinder, sind wir schlimm.“

Selbst Perversion hat etwas von Routine und Spießigkeit, das wird auf der Tour der Leiden deutlich. Denn der umtriebige Dorn ist zwar mit Partner Viktor und Hetero-Freundin Todora auf dem Fahrrad im Norden Deutschlands unterwegs, zu Hause in Berlin wartet aber Dorns Liebhaber Torsten. Und so wird die Tour in der Idylle der Lüneburger Heide von kleinen Eifersuchtsszenen überschattet. Für den Leser ist es aber eine große Komödie, wie die Bohème das Land kennenlernt und direkt von der himmlischen oder auch göttlichen Ruhe schwärmt: „In Berlin verkünde ich gern, die Einsamkeit zu lieben, aber dann habe ich mindestens drei Zuhörer.“

Detlev Meyer steht, wie die Kritiker ganz richtig erkannt haben, Oscar Wilde sehr nahe. Sein alter ego ist hedonistisch und narzisstisch veranlagt, das Leben ist ein Schauspiel, Bayern möchte er nicht regieren, er möchte es inszenieren. Doch Detlev Meyer fehlt die Schwere eines Oscar Wildes. Vergeblich sucht man nach der Verzweiflung und der Angst, wie sie auch noch viele seiner Zeitgenossen beschrieben haben. Detlev Meyer ist ein Sprachvirtuose, der pointiert und voller Sarkasmus über das Leben seiner Figuren schreibt, die sich zwischen Subkultur und Spießeralltag bewegen, und auch deswegen umso menschlicher daherkommen. Und so kommentiert der Text natürlich auch direkt seinen Status als schwule Literatur: „Wenn meine Literatur schwul ist, dann ist Der Butt von Günter Grass, Sie verzeihen, Herr Präsident, ein heterosexuelles Kochbuch.“

Im Abschluss der Trilogie kann sich der Dandy nicht länger vor der AIDS Epidemie verbergen. Ein letzter Dank den Leichtathleten ist auch als Vertreter der AIDS Literatur hervorzuheben. Noch immer ist der Humor beißend, doch er hat nun einen bitteren Beigeschmack: „So muss Ernst Jünger die Weltkriege begrüßt haben. Vom Stahlgewitter in den Virussturm. (…) Nur in der Schlacht ist der Schwule was wert!“ Auch im Angesicht des Todes Leicht- und Frohsinn, Jubel und Trubel? Kann er etwas anderes? Die dritten Bundeslustspiele werden eröffnet, es folgt ein Aufmarsch der (Über-)Lebenden. Es gilt weiterhin zu feiern. Denn nichts wird enden, der Bund fürs Leben nicht, die Lust am Leben nicht, und niemals das Spiel.

Dass Detlev Meyer derart in Vergessenheit geraten ist, gehört unbedingt rückgängig gemacht. Auch 30 Jahre später hat die Biographie der Bestürzung nichts von ihrer Wirkungsmacht und ihrem Esprit und Witz eingebüßt und kommt im Gegensatz zur restlichen schwulen Literatur jener Zeit auch kein bisschen verstaubt daher.

Detlev Meyer wurde am 12.02.1948 in Berlin geboren. Nach einem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften hat er in Toronto als Bibliothekar und für den Deutschen Entwicklungsdienst als Ausbilder für Studentinnen des Bibliothekswesens in Jamaika gearbeitet. Seit Mitte der 70er Jahre lebte er als freier Autor in Berlin. Am 30.10.1999 ist er an den Folgen von AIDS gestorben.

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