Daniel Schreiber – Allein

Daniel Schreiber - Allein

Daniel Schreibers neues Essay Allein stellt die Frage, wie – und ob – ein Leben allein möglich ist. Wir leben in unsicheren Zeiten, in denen Individualismus und persönliche Freiheit einen immens hohen Stellenwert einnehmen, und doch (oder auch gerade deswegen) gilt die heteronormative Kernfamilie noch immer als begehrenswerte Norm. Ein Leben außerhalb einer Liebesbeziehung wird als persönliches Scheitern wahrgenommen, „als eine Folge mangelnder Attraktivität, mangelnden wirtschaftlichen Erfolgs, mangelnder psychischer Finesse.“ Das Thema ist entsprechend extrem schambesetzt. Mit einer Mischung aus persönlicher Biografie und Verweisen auf andere Denker*innen unserer Zeit versucht Daniel Schreiber auszuloten, wie ein Leben allein möglich ist.

Allein ist kein Buch, das ich, wie viele berichtet haben, nicht beiseitelegen konnte und in einem Zug lesen musste. Das spricht jedoch nicht gegen, sondern für die Qualität des Textes und bestätigt auch eine von Schreibers Thesen: Wir setzen uns nur ungern mit dem Thema Einsamkeit auseinander, weder mit der unserer Mitmenschen noch mit der eigenen.

Schreiber erzählt von der eigenen Einsamkeit, als Leser*in ist man extrem nahe dran, so nah, dass man womöglich oft einen Schritt zurücktreten möchte. Gleichzeitig bewirken die soziologische Brille, durch die Schreiber das Thema betrachtet, und die zahlreichen intertextuellen Verweise, für eine gewisse Distanz. Diese Distanz wirft einen als Leser*in unweigerlich auf einen selbst zurück.

In Zeiten, in denen wir auf uns selbst zurückgeworfen werden, müssen wir uns zwischen „kleineren Erzählungen“ zurechtfinden. Die Themen Alleinsein und Einsamkeit sind allerdings wohl eine der großen Erzählungen unserer Zeit. Allein versucht sich vor allem über die Freundschaft dieser Erzählung zu nähern. Was kann sie und wo stößt sie an ihre Grenzen? In der Literaturgeschichte (und auch darüber hinaus) galt die Freundschaft im Gegensatz zur Liebesbeziehung stets zu den kleinen Erzählungen, bis sie im Zeitalter der Popkultur überhöht wurde. In der queeren Literatur spielte die Wahlfamilie allerdings seit langer Zeit eine übergeordnete Rolle. Sie ist eine der Erzählungen ohne vorgefertigte Muster – und ist es nicht das, was queeres Schreiben charakterisiert? Oft sind es jedoch queere Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind. Sie sind mit dem Wissen aufgewachsen, dass es ein Ordnungsprinzip gibt, aus dem sie herausfallen. Dieses Wissen ist dem Körper eingeschrieben.

Die Freundschaften von Dauer sind, wie Schreiber zeigt, keine Freundschaften der Gleichheit, sondern Freundschaften der Vielfalt. Sie beruhen auf dem Wissen, dass man das Gegenüber nie vollkommen kennen, nie besitzen kann. Oder um es in den Worten des Philosophen Deleuze zu sagen: „Ich lasse dich, ich will es so.“

Mit dem Filmemacher und Künstler Derek Jarman zeigt Daniel Schreiber aber auch die selbstgewählte Einsamkeit. Nach seiner HIV-Diagnose im Jahre 1986 kaufte Jarman Prospect Cottage, eine kleine Holzhütte im Schatten eines Kernkraftwerks an einer der unwirtlichsten Küsten Englands. Er kultivierte alle Umstände zum Trotz – der Umweltverschmutzung, der Homogenisierung der Kulturlandschaft und der eigenen Krankheit – einen Garten und versuchte auf sich allein gestellt und mit den eigenen Händen eine scheinbar sinnlose Welt im Kleinen mitzugestalten.

Was Allein auszeichnet, ist, dass es keine eindeutigen oder endgültigen Antworten bietet. Allein ist eine stille Meditation und dank seiner vielfältigen literarischen Verweise ein Aufruf, eigene Antworten zu finden, ja, die Erkenntnis, dass eine individuelle Antwort der einzige Weg ist.

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