Bret Easton Ellis – American Psycho

Heute ist Bret Easton Ellis vor allem damit beschäftigt, mit gerade einmal 140 Zeichen auf Twitter kleine Skandale auszulösen. In den 80er und 90er Jahren vermochte  er noch mit seinen Romanen Less then Zero, The Rules of Attraction und American Psycho Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Romane, die über wiederkehrende oder miteinander verwandte Charaktere alle irgendwie miteinander in Verbindung stehen, beschreiben eine Generation, die sich in einem Sumpf aus Drogen, Sex und Apathie verloren hat. Viele der Ereignisse spiegeln dabei sein eigenes Leben wider. Seine immer wieder abweichenden Aussagen über Einflüsse auf seine Werke und auch über seine eigene Biographie verwischen die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Als Vertreter der Autofiktion stellt sich Ellis in eine lange Tradition weiterer homosexueller Autoren, wie zum Beispiel Marcel Proust und Jean Genet. Kein Wunder also, dass so mancher Sittenwächter durch seine Romane auf den Plan gerufen wurde, die Ellis persönlich Moralverlust vorgeworfen haben – der sich im Übrigen selbst als moralischen Menschen bezeichnet. Keiner seiner Romane war jedoch so skandalumwittert wie American Psycho, der in der Regel als sein Magnum Opus gewertet wird. Bereits vor seiner Veröffentlichung 1991 wurde dem Text Gewaltverherrlichung und Misogynie vorgeworfen. Das führte unter anderem dazu, dass der Verlag Simon & Schuster auf eine Veröffentlichung verzichtete und das Buch schließlich durch Vintage Books verlegt wurde. In Deutschland stand das Buch sogar zwischen 1995 und 2000 auf dem Index für jugendgefährdende Medien.

American Psycho beruhigt zwar nicht auf Ellis‘ Leben, doch gestaltet sich auch diese Geschichte als Autobiographie beziehungsweise als Lebensbericht. Der 26-jährige Patrick Bateman erzählt von seinem Leben als Yuppie an der New Yorker Wallstreet Ende der 80er Jahre: angesagte Restaurants, hübsche Frauen, Drogen, teure Designeranzüge, Videos, Facials und das Fitnessstudio. Wenn das so klingt, als hätte man das schon unzählige Male gehört, dann ist das volle Absicht. American Psycho spielt nicht nur mit jedem Klischee des Yuppies, der Roman hat auch dazu beigetragen, das Bild unverrückbar zu festigen. So entsteht beim Lesen oft der Eindruck, eine sich stets wiederholende Liste abzuarbeiten, anstatt einer Handlung zu folgen. Bis auf wenige Ausnahmen könnten die Kapitel in einer wahllosen Reihenfolge gelesen werden, ohne dabei etwas am Verständnis des Textes zu ändern. Über zig Seiten beschreibt Patrick Bateman welche Designer seine Mitmenschen tragen, lässt sich über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Körperpflegeprodukte aus und erspart es den Leser*innen auch nicht, ihm durch sämtliche, angesagte Restaurants und Clubs (die sich auch ständig wiederholen) in New York zu folgen und mit den ausführlichen Auflistungen der Menüs zu malträtieren. Das ist jedoch nur ein kleiner Teil von Patrick Batemans Leben, die Maske, die er seinen Mitmenschen zeigt.

Denn eigentlich ist er ein Psychopath, ein Serienkiller, der Frauen, Hunde und Obdachlose quält, ermordet, zerstückelt und hin und wieder auch verspeist. Auch das wird dem Leser in einem extremen Detailreichtum und einer sich steigernden Intensität kredenzt. Auf den ersten Blick scheint das Ganze eine bitterböse Satire auf den Yuppie zu sein. Patrick Bateman ist ein Produkt des übermäßigen Konsums, der Drogen und der Pornographie. Er ist reich, sogar in die obere Schicht hineingeboren, und hinter der Maske des erfolgreichen Investmentbankers (auch wenn man ihn tatsächlich nie bei der Arbeit sieht) verbirgt sich ein gefühlloses Monster. Vor allem die Aufzählungen der Marken und Namen, die man größtenteils alle wiedererkennt, erwecken den Eindruck, dass der Text sich auf eine dem Leser bekannte Realität bezieht. Diese Realität ist jedoch vollkommen überzeichnet und ästhetisiert, genau wie die Darstellung Batemans eine einzige Anhäufung von Stereotypen ist. Sämtliche Charaktere sind so austauschbar, dass es immer wieder zu Verwechslungen kommt und Bateman regelmäßig mit dem falschen Namen angesprochen wird. Was dem Text jedoch wirklich fehlt, um ihn zu einer Satire zu machen, ist eine Alternative zu dem, was in der Kritik zu stehen scheint (zumindest wenn man einer der vielen Definitionen von Satire Glauben schenken will). Selbst die Auflistung von Lösungsvorschlägen für die Probleme der Gesellschaft (u.a. das Ende des nuklearen Wettrennens, das Ende des Terrorismus und des Welthungers, ein Heilmittel für AIDS, und Umweltverschmutzung) ist eine weitere Anhäufung von Klischees. Und dass sie ausgerechnet von Bateman vorgetragen wird, verstärkt die Ironie der Aussage nur. Was dem Roman fehlt, und das ist volle Absicht, ist Tiefe. Alles ist Oberfläche.

Also womit hat der Leser es dann zu tun? Vielleicht mit einer Satire auf die Popliteratur. Das Auflisten von Marken und Musik, die Thematisierung von Drogen und Sex – American Psycho bedient sich aller Elemente eines Popromans. Besonders die Kapitel ‚Genesis‘ und ‚Whitney Houston‘ fallen ins Auge, Kapitel, die strategisch nach besonders blutrünstigen Morden platziert sind, und in denen Bateman geradezu euphorisch die Musik der beiden Künstler*innen bespricht. Menschliche Emotionen besitzt er keine, doch Lieder, die genau diese abbilden, bewegen ihn auf eigenartige Art und Weise. Gut und gerne verfallen die Erzähler der Popliteratur (oft auch Vertreter der Autofiktion) ins Schwärmen und schwadronieren über hunderte von Seiten über gute und schlechte Musik, während ihr Protagonist oft dem eines Soziopathen gleicht. American Psycho treibt dies auf die Spitze mit einem tatsächlichen Psychopathen und eröffnet damit gleichzeitig ein weiteres Motiv der Popliteratur, dem Motiv des Mythos. In diesem Fall dem Mythos des amerikanischen Serienkillers.

Bateman ist nicht nur ein Serienmörder, er schaut sich Dokumentationen über sie an und versucht seine Bekanntschaften immer wieder in Gespräche über sie zu verwickeln. Zumindest auf der Oberfläche, denn ob Bateman tatsächlich ein Mörder ist, darüber kann man sich als Leser*in nie sicher sein. Wir erfahren nie mehr als das, was Bateman, der immerhin einen Großteil des Romans über unter dem Einfluss von Drogen steht, uns auch anvertraut. Genauso gut ist es möglich, dass sich jede noch so blutrünstige Tat lediglich in seinem Kopf abspielt. Doch auch so ist das Argument für eine Satire auf die Popliteratur insgesamt recht brüchig, wenn man bedenkt wie – ironischerweise – oberflächlich die Kritik ist und dass der Roman sich verweigert, eine Alternative zu bieten.

Vielmehr scheint der Text seine Leser*innen mit der Frage zu konfrontieren, wieso man überhaupt weiterliest. Viele der Passagen, in denen nichts passiert, als das Bateman irgendwelche Designer oder Marken auflistet, verleiten dazu, dass man sie überfliegt, womöglich sogar einfach weiterblättert und darauf hofft, dass etwas passiert. Dass der Roman erst im zweiten Viertel seine Leser*innen mit dem ersten Mord konfrontiert, scheint Kalkül. Wie auch der Protagonist, fühlt man sich von allem gelangweilt und droht abzustumpfen – bis Batemann dann zum ersten Mal sein Messer zückt und einen obdachlosen Mann auf grausamste Art ermordet.

Es ist diese Stelle, in der Leser*innen. so wie auch Bateman, wohl eine heftige Emotion verspüren. Zugegeben, im Idealfall sind es Entsetzen, Ekel und Schock, die einen überkommen, doch zumindest in der Intensität der Gefühle ist man gezwungen, sich mit dem Psychopathen zu identifizieren. An dieser Stelle bleibt kein Zweifel, dass Bateman ein Monster ist. Er ist eiskalt und grausam, ein Rassist und Sexist. Erlösende Merkmale sucht man als Leser*in vergebens. Anstatt sich also mit Bateman zu identifizieren und mit zu fiebern, kann man dem Text lediglich mit der Hoffnung begegnen, dass Bateman am Ende des Romans von der Polizei gefasst wird, doch auch diese Hoffnung wird zerstört. Bateman entkommt. Möchte Ellis (oder vielleicht auch Bateman selbst?) seine Leser*innen erziehen, sie damit konfrontieren, dass sie die sinnlose Darstellung von Gewalt konsumieren und sie dazu zwingen, das eigene Verhalten zu reflektieren? Dagegen spricht, dass auch die Gewaltdarstellung lediglich eine Anhäufung von Tabus ist: Mord, Vergewaltigung und Kannibalismus. Das einzige, was fehlt und die Moral Amerikas weiter erschüttern könnte, ist Inzest. Da die Figuren im Roman jedoch wahllos austauschbar sind und sie einer heterogenen Gruppe entstammen, die genauso gut miteinander verwandt sein könnte, kommt es zumindest zum metaphorischen Inzest.

Als Victor Hugos Roman Les Misérables 1862 in Frankreich erschien, war sein Anliegen didaktischer Natur, er wollte die Welt verändern, ja, sie sogar verbessern. Wenn nun die vollkommen seelenlosen Figuren in American Psycho sich immer wieder über die Musical-Version des Romans unterhalten, gleichzeitig aber den obdachlosen Menschen mit Arroganz oder sogar Grausamkeit begegnen, und Patrick Bateman den Soundtrack des Musicals beinahe fanatisch hört, kann das nur zwei Dinge bedeuten: entweder hat keiner Figuren die Bedeutung von Les Misérables verstanden oder der Text (vielleicht auch Bateman selbst) gibt ein Signal, ihn nicht ernst zu nehmen. Die Frage der Glaubwürdigkeit lässt sich auch auf Batemans Gewalttaten übertragen. Ist er tatsächlich ein Mörder? Nicht nur, weil man als Leser*in seiner Perspektive nicht entkommen und somit unmöglich den Wahrheitsgehalt der Aussagen überprüfen kann, kommt diese Frage unweigerlich auf. Auch der ständige Drogenkonsum und das immer irrationaler werdende Verhalten Batemans verstärken den Eindruck, dass sich die Ereignisse womöglich nur in seinem Verstand abspielen. Damit fällt ein weiterer Interpretationsansatz komplett in sich zusammen. Sobald man das Gefühl hat, den Text zu fassen, entkommt er einem auch wieder. Ihm fehlt jeglicher Kern, er ist nur Oberfläche.

Die Zitate „Abandon all hope ye who enter here“ und „This is not an exit“ aus Dante Alighieris Divina Commedia umrahmen den Text und erwecken den Eindruck einer höllischen Endlosschleife ohne Ausweg so wie auch jeglicher Interpretationsversuch, der auf Einheit aus ist, im Nichts verlaufen muss. Eine nicht enden wollende Liste oder auch eine CD auf Repeat. Was am Ende übrig bleibt, ist eine Oberfläche ohne Kern. Gerade weil der Roman so offen ist und viele Interpretationsansätze möglich macht, ist es nicht verwunderlich, dass er bei einer großen Gruppe Kultstatus erlangt hat, die in dem Text eine Bestätigung für ihre Apathie, ihren Nihilismus und auch oft ihrer Grausamkeit gefunden haben. Natürlich kann man Ellis dafür keinen Vorwurf machen, doch am Ende ist es genau das, was den Text so ernüchternd und auch uninteressant macht. Ellis, der seine eigene Apathie in Interviews (und mittlerweile natürlich auch auf Twitter) deutlich macht, schafft es als Künstler nicht, eine Realität jenseits seines eigenen Weltbildes zu erschaffen. Und so bleibt man am Ende mit dem Gefühl zurück, dass nichts irgendeinen Sinn ergibt. So wie auch die Lektüre von American Psycho.

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