„In seinen kleinsten Bewegungen wird er zu Marian und bemerkt es bald. Da ist sein Auge längst auch Marian geworden, er sieht die Reklame, wie Marian sie sehen würde. Ihn ziehen dieselben Details an, ihm gefallen dieselben Farbübergänge, er verweilt in einer Ruhe, die Marians ist. Ihm ist ganz wie er und er hat die Möglichkeit gewonnen, alles wie der aufzunehmen, für den er fühlt. Dabei ist er sich selbst nicht weniger, nur mehr.“
Marian und Valentin treffen in einer Stadt in einem Wartezimmer aufeinander. Auch wenn sie sich nicht kennen, erkennen sie einander wieder, denn: Sie haben beide Emma geliebt. Die beiden beginnen Zeit miteinander zu verbringen – und verlieben sich ineinander. Es ist eine Liebe, die universell ist und kein Geschlecht kennt.
Anton Maria Mosers Roman ‚amo’ (mit Illustrationen von Pilar James Borower) nimmt seinen Untertitel ‚Montage einer Liebe‘ auch auf formaler Ebene ernst. Es sind klassische Szenen einer (modernen) Beziehung, die der Text seinen Leser*innen vorführt: das erste Date mit seinen peinlichen und unangenehmen Momenten, über die man hinterher lachen kann, erste Male wie das Teilen von Ängsten und das Teilen des Bettes und auch Alltägliches wie ein Gespräch im Café oder eine Fahrt mit der Straßenbahn. Diese Szenen sind universell und doch einzigartig und deswegen benötigen sie auch alle eine eigene Form. Wir begleiten Valentin und Marian bei ihrem Kennenlernen und ineinander Verlieben in Form von dramatisch anmutenden Szenen, Textnachrichten, Gedichten, Briefen, Geldüberweisungen und Traumprotokollen.
‚amo‘ erzählt vom ewigen Reigen der Liebe: „Ich glaube, jeden Morgen erwacht das Glück vor dem Schrecken. Erst wohl, dann schlimm hintenan.“ Vom Kennenlernen, dem Verlieben über das Entstehen echter Intimität bis hin zu dem Moment, der das Glück zerstört: die eigenen Unsicherheiten offenbaren ihre hässliche Fratze und dem einst geliebten kann kein behutsamer Zauber mehr eingeräumt werden. Dabei spiel der Text mit der Bewegung, Marian und Valentin bewegen sich aufeinander zu, richten sich nacheinander aus, finden sich ineinander zurecht und bewegen sich irgendwann auch wieder voneinander weg. Als Leser*innen schauen wir zu Beginn von außen auf diese beiden Figuren wie bei Bühnenanweisungen, die nur äußere Vorgänge beschreiben. Die beiden sind uns fremd wie auch Valentin und Marian sich fremd sind, doch mit jeder neuen Szene, mit jeder neuen Textgattung, zoomt der Text näher heran.
‚amo: Montage einer Liebe‘ von Anton Maria Moser ist so kurzweilig und experimentierfreudig wie es auch zwei Frischverliebte sind. Das Ver- und wieder Entlieben ist die vermutlich älteste Geschichte der Welt und zugleich behaupten wir, dass jede Geschichte irgendwie anders ist. Getreu einer Variable ergibt hier V + M = amo, zwei austauschbare Buchstaben, die uns Lesende aber sicherlich an die Signifikanten unserer eigenen Liebesgeschichten erinnern. Und deswegen erzählt ‚amo‘ zwar nicht unbedingt etwas Neues, das, was es erzählt, aber mit so unglaublich viel Verve, dass es sich ganz und gar eigen anfühlt und liest.