„In mir sind die Worte ein Ganzes, ergeben Sinn, aber sobald sie meinen Mund verlassen, fallen sie zu Boden, noch bevor sie fremde Ohren erreichen, und zerbrechen wie kleine Porzellantassen vor meinen Augen.“
Es ist eine alte Erkenntnis: Die Idee ist vollkommen, ihre Versprachlichung nur ein Schatten ihrer selbst. Was es bedeutet, keine Sprache für das eigene Ich zu finden und einen Platz zwischen den Zuschreibungen der Außenwelt – und darüber hinaus – zu finden, davon erzählt Maë Schwinghammers autofiktionaler Debütroman ‚Alles dazwischen, darüber hinaus‘.
Als das erzählende Ich dieses Romans, das sich erst viele Jahre später für den Namen Maë entscheiden wird, noch ein Kind ist, müssen die Eltern zwischen ihm und der Welt übersetzen. ‚Sprachfindungsstörung‘ lautet die Diagnose. Die Wut darüber nicht verstanden zu werden, entlädt sich in diesem kleinen Körper, der um sich schlägt und beißt. Später auf der Schule entlädt sich die sprachliche Gewalt wiederum auf das erzählende Ich: Homo, Opfer, Schwuchtel, Pussy.
Maë Schwinghammers Coming-of-Gender-Story erzählt von Transness und von Herkunft und davon wie Sprache uns oft in vorgefertigte Schablonen zu pressen versucht, wie sie unsere Körper und unser Denken formt. Noch als Kind ist es der Stolz auf die Eltern, die beide in einem Supermarkt arbeiten, der die Gefühle beherrscht: „In der Volksschule erzähle ich mit Stolz und fast ohne Atem von der Arbeit meiner Eltern, bin ich doch fest davon überzeugt, dass Supermärkte die Herzschlagader einer jeden Stadt seien, ähnlich überlebenswichtig und stark frequentiert wie sonst nur die Toilette daheim.“ Doch auch die Eltern geben them zu verstehen, dass sie sich mehr, etwas ‚Besseres‘, auch die Sprache der Umwelt belegt die eigene Herkunft mit Scham, macht sie zu etwas, von dem man sich loszusagen versucht. Und so ist es auch die Liebe der eigenen Eltern, der Wunsch, dem eigenen Kind mehr zu ermöglichen, der zu dem Riss führt. „über den hinweg wir uns zwar Dinge zurufen, aber niemals wieder eine Brücke der Verständigung geschlagen haben.“ Und so erzählt ‚Alles dazwischen, darüber hinaus‘ wie so viele der gegenwärtigen autofiktionalen Romane über Klasse und Scham, aber auch über das Opfer der eigenen Eltern, die ihre Körper für sie kaputt schuften, und von der traurigen Bilanz, die am Ende bleibt: „Ich will nicht so werden wie du.“
Maë Schwinghammer beschreibt, wie der Körper von Anfang an, als fremd wahrgenommen wird, als etwas über das Geschichten erzählt wird, zu denen mensch keinen Bezug hat, etwas, auf das die Scham der anderen projiziert wird: „Mein Körper entgeht mir, er geht aus mir. Wenn ich ihn nicht festhalte, flieht er mir. Mein Körper ist ein Fluchtkörper, eine flüchtige organische Verbindung, ein Stoff, der keine Räume einnimmt, sondern sich in ihnen verliert, in ihnen verloren ist.“ Und so erzählt der Roman auch von dem verzweifelten Versuch, sich anzupassen und später die Teile des eigenen Ichs zu identifizieren, die zu einem gehören und welche mensch sich nicht antrainiert hat, um zu überleben. Wie es der Titel bereits verrät, ist ‚Alles dazwischen, darüber hinaus‘ ein vorsichtiges Erforschen der eigenen Identität, die klassische Binaritäten sprengt. Hier wird ganz klassisch die beinahe universelle Erfahrung von trans Personen beschrieben, das eigene Gender zu Halloween auszutesten, während mit einem Augenzwinkern der Gang ins Fitnessstudio als eine Form der gender-affirming care bloßgestellt wird.
‚Alles dazwischen, darüber hinaus‘ ist ein Buch der Leerstellen und des Nicht-Sagbaren. Während einige Szenen zum Thema Klasse und Herkunft für mein Empfinden deswegen nicht über das Offensichtliche hinausgehen, besticht der Roman in dieser Hinsicht vor allem durch das zärtliche Erforschen der verworrenen und komplexen Verschränkungen von Identität, Sprache, Geschlecht und auch Selbstermächtigung. Und damit ist auch dieser Text der beste Beweis, wie schwierig es ist, die vollkommene Idee in die Welt hinauszutragen und wie spannend, lehrreich, unterhaltsam und bewegend es trotzdem sein kann, diese sprachliche Schatten zu lesen.
Zur Inszenierung: Zu sehen ist eine Fotografie von Donal Talbot aus ‚New Queer Photography‘, herausgegeben von Benjamin Wolbergs.