Magda Kalandadse – Das zweite Zimmer

Magda Kalandadse - Das zweite Zimmer 01

Erst später, nachdem ich mir Lenas Facebook-Seite angesehen hatte und sie zur Wohnungsbesichtigung gekommen war, begriff ich, warum Lili niemals eifersüchtig auf sie sein würde: Junge Frauen wie Lena, die sich offen und lautstark positionieren und ihre Sexualität plakativ vor sich hertragen, haben mich noch nie angezogen, ich habe nie Teil sein wollen von alldem, hätte nie gewollt, dass ich über das Image der Person an meiner Seite definiert werde.

Als der Herbst in Tbilissi einbricht, entschließt sich Elene widerwillig das freie Zimmer ihrer Wohnung unterzuvermieten. Auch wenn Ex-Mann Reso ihr die große Wohnung nach der Trennung bereitwillig überlassen hat und sie praktisch nur von Kaffee und Zigaretten lebt, kann sie sich von ihrer Arbeit als Lektorin und Übersetzerin die Heizkosten in der eisigen Kälte Georgiens nicht leisten. Ihre Partnerin Lili, von der niemand etwas wissen darf, schlägt die Aktivistin Lena vor. Mit der neuen Mitbewohnerin wird Elenes Leben ein wenig offener und auch gefährlicher.

Das zweite Zimmer‘ von Magda Kalandadse (aus dem Georgischen von Rachel Gratzfeld) spielt von Anfang an mit Genrekonventionen und den Erwartungen seiner Leser*innen, beginnt der Roman doch wie eine klassische Liebesgeschichte, in der sich die Heldin zwischen zwei Frauen und damit auch zwischen zwei Leben entscheiden muss. Tatsächlich erzählt Kalandadses Debütroman aber eine ganz andere Geschichte: die des politischen Coming-of-Ages.

Mit Elene wählt Kalandadse keine traditionelle Protagonistin bzw. Heldin. Elene gehört im Gegensatz zu ihrer neuen Mitbewohnerin zu jenen, die sich fügt und in der Menge verschwinden will. Sie gehört zu den Figuren, mit denen sich niemand identifizieren möchte, die den meisten von uns aber näher sind, als wir uns eingestehen wollen. Elene gibt sich der Apathie hin, verheimlicht ihre Sexualität und schämt sich für offen zur Schau gestellte Zärtlichkeiten zwischen queeren Menschen. Sie hat die Homophobie ihrer Umwelt verinnerlicht, denn Georgien ist ein konservatives und christlich-orthodox geprägtes Land, wo Homosexualität offiziell zwar nicht verboten ist, queere Menschen aber trotzdem Gewalt und Ausschluss fürchten müssen.

Auch Elenes Körper wird zum Schlachtfeld äußerer Zuschreibungen und Erwartungen. Dass Elene sich gehen lässt, dass sie von ihrem Mann hat scheiden lassen und nicht mehr das Bild einer glücklichen heterosexuellen Ehe verkörpert, darin sieht vor allem ihre Mutter einen Mangel. Doch Elene entzieht sich diesem patriarchalen Blick: Nicht nur, dass sie sich körperlich gehen lässt, sie raucht Kette, isst ungesund, schläft vollkommen schamlos in ihrem eigenen Menstruationsblut und gibt sich in gewisser Weise dem Verfall hin. Sie leistet ihre eigene Art des Widerstands, eine Handlung, die beinahe unbemerkt parallel zur eigentlichen Geschichte verläuft.

Je mehr Zeit Elene mit Lena verbringt, desto tiefer dringt sie in deren Welt ein und muss ihre eigenen Ängste und Vorurteile konfrontieren. Das macht ‚Das zweite Zimmer‘ sicherlich auch zu einem didaktischen Roman, doch der Text ist nur auf den ersten Blick schnörkellos und geradeheraus, thematisiert er doch auch ein streitbares Thema wie Elenes Liebe als junges Mädchen zu einer älteren Frau in all ihren Ambivalenzen und nutzt dabei Patricia Highsmiths ‚Carol‘ als eine Art Schablone.

Das zweite Zimmer‘ von Magda Kalandadse ist eine auf den ersten Blick unaufgeregte Erzählung, ein politisches Buch über ein Leben im Verborgenen und darüber, wie schwierig und gefährlich es für manche von uns ist, für die eigenen Rechte einzutreten. Die wunderschön gestaltete Ausgabe im Verlag Friedrich Mauke in der Edition Europastraße enthält ein Glossar und ein kurzes Nachwort zur rechtlichen Lage von LGBTQ+ Menschen in Georgien. Dieses ist mit den jüngsten Ereignissen schon wieder veraltet, wurde in Georgien doch erst in diesen Tagen ein Gesetz verabschiedet, dass sich das russische Propaganda Gesetz zum Vorbild genommen hat. Pride Veranstaltungen, Medien mit queeren Inhalten, gleichgeschlechtliche Ehen, die Adoption von Kindern durch queere Menschen und auch geschlechtsangleichende Operationen – all dies ermöglicht es das Gesetz in Zukunft zu verbieten. Umso wichtiger ist es, dass Verlage wie Verlag Friedrich Mauke Autorinnen wie Magda Kalandadse eine Stimme geben – und uns Leser*innen die Möglichkeit zuzuhören.

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