Verena Stefan – Häutungen

Verena Stefan - Häutungen 01

Die weibliche Kunst in Zeiten der mangelnden ökonomischen Grundlangen. Auch unter diesem Aspekt ist Verena Stefans Klassiker der Frauenbewegung Häutungen zu betrachten. Der Text entsteht, während sich Verena Stefan für die feministische Gruppe ‚Brot und Rosen‘ engagiert und an Aktionen gegen den §218 beteiligt. Für die Autobiografischen Aufzeichnungen Gedichte Träume Analysen (so der Untertitel des Textes) übernimmt Verena Stefan neben der klassischen Schreibarbeit auch das Lektorat und die Planung und Durchführung der Buchproduktion. Der Text muss so günstig wie möglich produziert werden. Ästhetik spielt keine Rolle, ist unpolitisch.

Das Buch erscheint 1975 im Münchener Frauenoffensive Verlag, der später einmal viele der feministischen Klassiker in Deutschland veröffentlichen sollte, damals allerdings noch in den Kinderschuhen steckt. Trotzdem, allein im ersten Jahr verkaufen sich 100.000 Exemplare – der Überraschungserfolg basiert auf Mundpropaganda und den regen Diskussionen in der Frauenbewegung. Später verlegt auch der S. Fischer Verlag den Text.

In Häutungen lässt Verena Stefan Veruschka für sich sprechen, eine junge Frau, die genau wie ihre Autorin als junge Frau von der Schweiz nach Berlin zieht. In der autobiografisch geprägten Erzählung ist die persönliche Erfahrung exemplarisch. Es beginnt mit der Sprache, sie bietet keinen angemessenen Wortschatz, um über die weibliche Sexualität zu sprechen, jedes Wort muss in seine Einzelteile zerlegt, neu bewertet werden. Das Ausweichen auf Naturmetaphern hat der Autorin besonders viel Häme seitens der Kritik beschert, eine Häme, auf welche sie vermutlich auch gelassen reagieren konnte, weil sie sich der Unzulänglichkeit der Bilder ebenso bewusst ist – und weiß, dass sie ohne professionelle Unterstützung und ohne eine angemessene Sprache auf Altbekanntes, ja, klischeehaftes verweisen musste.

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Das Verhältnis Veruschkas zu Männern ist von dem Glauben geprägt, diese erziehen, zu einem besseren Menschen machen zu müssen. Sie beobachtet, wie der Körper der Frau vom männlichen Blick geprägt und diesem ständig ausgesetzt ist. Eine Vergewaltigung bedeutet für eine Frau lebenslänglich, weil lebenslange Gefahr. Die Zusammenarbeit mit anderen Frauen bedeutet für sie eine Hinwendung zu einem Leben mit Frauen und für Frauen. Eine Frau zu lieben, ist ohne Vorbilder kein einfaches Unterfangen, doch nur wenige haben 1975 so selbstverständlich darüber geschrieben wie Verena Stefan. Häutungen ist Radikaler Feminismus und Entwicklungsroman in einem. Auch wenn Teile des Textes schlechter als andere gealtert sind, an Brisanz hat er auch heute nicht verloren. Und das nicht nur weil Häutungen die Frauenbewegung in Deutschland maßgeblich geprägt hat.

Um Verena Stefan ist es nach der Veröffentlichung von Häutungen relativ ruhig geworden, ihre weiteren Bücher konnten nicht annähernd an den Erfolg ihres Debüts anknüpfen. Ihre letzten Lebensjahre hat die Autorin in Montreal, Kanada gelebt, wo sie 2017 gestorben ist. Jüngst wurde ihr letztes Buch Ein Riss im Stoff des Lebens auf Deutsch veröffentlicht.

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