Randall Kenan – Der Einfall der Geister

Randall Kenan - Der Einfall der Geister

Die Geister sind hartnäckig in Tims Creek, einer kleinen Stadt auf dem Land im amerikanischen Süden. Mehr als das, sie ist äußerst lebendig diese geisterhafte Herde, die alles zertrampelt, was ihr in den Weg kommt, Rasenflächen, Blumen, Sträucher und Bäume, und nur darauf wartet, geschlachtet zu werden.

Der Einfall der Geister‘ (aus dem Amerikanischen von Eva Bonné und Aminata Cissé) ist der erste Roman des Schriftstellers Randall Kenan (1963-2020). Im Original bereits 1989 erschienen, erregte ‚Der Einfall der Geister‘ ursprünglich recht wenig Aufmerksamkeit. Erst mit dem Erfolg der Kurzgeschichtensammlung ‚Let the Dead Bury Their Dead‘ änderte sich das und Kenans Debüt erhielt den Status eines schwulen Klassikers. Dass man den Roman heute eher zu den vergessenen Klassikern der schwulen Literatur zählt, hat vermutlich auch mit einem zentralen Motiv des Romans zu tun: Der scheinbaren Unvereinbarkeit einer schwulen und Schwarzen Identität.

Bereits James Baldwin sah sich in den frühen 50ern mit der gleichen Herausforderung konfrontiert. Homosexualität, so das Vorurteil, war ein Produkt der Sklaverei oder entstand durch den Kontakt mit Weißen – darüber zu schreiben, kam einem Verrat gleich. Wie auch der offen homosexuell lebende Bürgerrechtsaktivist Bayard Rustin galt Baldwin bei vielen genau deswegen als Verräter. Randall Kenan greift diesen Konflikt auf und beschreibt, was es bedeutet, mehrfach marginalisiert und in keiner Welt zu Hause zu sein.

Der sechzehnjährige Horace Thomas Cross wächst im Herzen einer Baptisten-Gemeinde in Tims Creek, North Carolina auf. Er ist mehr als er selbst, „[s]chon sein Vater und der Vater seines Vaters waren Kirchenmänner gewesen, und nun war es an ihm, die Gemeinde zu führen, zu leiten und zu beraten. Er war ein Oberhaupt, ein großer Stammesältester.“ Horace ist die Große Schwarze Hoffnung, er ist der Scheißheiland, sein Seufzen ist das eines alten Mannes, resigniert, schicksalsergeben und viel zu alt für einen Sechzehnjährigen.

Doch Horace will seiner Sünde entkommen. Er will kein Mensch mehr sein, er will unbehindert, ungebunden und frei sein. Auch wenn er ein rationaler Mensch ist, jemand, der in der Mathematik und der Naturwissenschaft bewandert ist, kann ihn jetzt nur eines retten: „Er brauchte Glauben statt Fakten; Magie statt Mathematik; Erlösung statt Wissenschaft. Der Glaube würde ihn retten, nicht nur der Glaube, sondern der Glaube an den Glauben, der schon Daniel, Isaak und die Frau am Brunnen gerettet hatte.“ Ein magisches Ritual soll ihn in einen Vogel verwandeln – doch das Ritual misslingt und so wandert Horace nackt, dreck- und rußbeschmiert und mit einem Gewehr bewaffnet durch die Nacht weiter auf der Suche nach Erlösung.

Horace – das ist von Beginn des Romans an klar – muss und wird durch die eigene Hand sterben. Doch bereits vor seinem Tod ist er wie Toni Morrisons Menschenkind ein Geist, der in dieser einen Nacht die Schauplätze seines eigenen Lebens heimsucht. Horace ist opak, die Leute sehen durch ihn hindurch. Was es bedeutet Schwarz zu sein, kann an dem Theater, für das Horace einen Sommer lang arbeitet und wo er seine Homosexualität offen ausleben kann, keiner verstehen. Seine Gemeinde kann diese nicht akzeptieren, doch sie lehren ihn mit Integrität, Würde und Stolz durch das Leben zu gehen. Mit ihren Geschichten über das Unrecht, dass die Weißen ihnen angetan haben, legen sie ihm eine Rüstung an.

Als Moses Gott fragt, mit welchen Namen er ihn den Israeliten vorstellen soll, sagt er: „Ich bin der, der ich bin.“ Ein Gott kann namenlos bleiben, doch ein Mensch, der in der Sprache unsichtbar ist, nicht bei seinem Namen genannt werden kann, ist – auch im politischen Sinne – tot. Und so ist Randall Kenans ‚Der Einfall der Geister‘ auch als der Versuch zu verstehen, eine Schwarze schwule Identität sagbar zu machen.

Auf seiner Odyssee durch die Nacht wird Horace von einer Horde Dämonen begleitet, seine Doppelgänger, Ausdruck des Unnatürlichen und seines als monströs verstandenen Begehrens. Doch der Einfall der Geister und Dämonen ist auch eine Konfrontation mit einer Vergangenheit, an die Horace sich nicht selbst erinnern kann. Denn Randall Kenan zeigt, wie das Erbe der Sklaverei Horace‘ Vorfahren und damit auch ihn selbst geprägt haben.

Randall Kenan, der oft mit James Baldwin und Toni Morrison verglichen wird, hat sich mit ‚Der Einfall der Geister‘ nicht nur einen Platz im Kanon der queeren Literatur gesichert, er hat sich auch in die Tradition des American Gothic eingeschrieben. Mit Brandon Taylor, Brontez Purnell und Bryan Washington – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen – hat eine neue Generation von Autoren, Ausdruck dafür gefunden, was es bedeutet, Schwarz und schwul zu sein. Aber auch 30 Jahre später ist eine Übersetzung von großer Literatur wie der von Randall Kenan nicht zu spät oder weniger wichtig.

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