Nate Lippens – My Dead Book

Nate Lippens - My Dead Book

My dead friends are back. I lie in bed at night and see them.

My Dead Book‘, der Debütroman von Nate Lippens (mit einem Vorwort von Eileen Myles), ist eine Reflexion über das Altern als schwuler Mann, darüber, was es bedeutet am Rande der Gesellschaft zu leben und welche Leben wir betrauern und welche nicht. Ursprünglich 2021 erschienen, wurde der Text im Herbst 2024 gemeinsam mit Lippens‘ zweiten Roman ‚Ripcord‘ – in gewisser Weise eine Fortsetzung von ‚My Dead Book‘ – neu aufgelegt.

Getrieben von Schlaflosigkeit und seinem nahenden 50. Geburtstag telefoniert der Erzähler des Romans jede Nacht mit dem 20 Jahre älteren Rudy. Beide Männer gehören zu den wenigen, die überlebt haben. Sie stammen nicht aus einer anderen Zeit als die jungen schwulen Männer, die ihnen begegnen, sie sind im Angesicht von Urlaub, Hausinspektionen, Renovierungen, PrEP, Grindr und Hochzeiten im wahrsten Sinne des Wortes aus der Zeit gefallen: „We were told we had a death wish by people who wished us dead. The generation before mine was wiped out and my generation all thought we would die too. Sex was scary. Intimacy impossible. And now we’re older and there’s this daddy culture. Everyone’s a dad. I’m a fucking daddy. Me. It’s stupid. And it’s all accelerated by apps. We’re all living like sex tourists through our phones.

Die schlaflosen Stunden beschwören die Bilder seiner Jugend in Wisconsin herauf. Von der eigenen Mutter aufgrund seiner Sexualität verstoße, lebt er auf der Straße oder in heruntergekommenen Apartments und schlägst sich als Stricher und mit schlecht bezahlten Jobs durch. Vor allem erinnert er sich aber an seine Freunde, die er verloren hat. Es sind junge Männer, die sich von Brücken und in Flüsse stürzen, die an einer Drogenüberdosis und an den Folgen von AIDS sterben, Männer, an die sich sonst niemand erinnert, weil sie schon zu Lebzeiten Geister waren.

Verzweiflung, Pessimismus, aber auch der Pragmatismus eines Überlebenden prägen diese Seiten. Während andere sich über die Rente und Altersvorsorge Gedanken machen und das was man allgemeinhin die ernsten Dinge des (Erwachsenen)lebens nennt, beschränkt sich der Erzähler auf ein Testament und eine ärztliche Anordnung. Den jüngeren will er seine Erfahrungen nicht als Weisheit verkaufen, alles, was er bieten kann, ist ein offenes Ohr. Auch der Versuch, sich mitzuteilen und gekannt zu werden, ist hier von Anfang an zum Scheitern verurteilt: „I’ve wanted Rudy to understand me. He’s the closest I’ve had to someone who does. But when I consider the reverse—am I that person to him? Does he want to be understood?—I see how stupid the wish is. That’s what is wrong: it’s a wish. A desire for something to happen. The entirety of the phrase floats off. Yearning for Rudy to see the cause, the explanation for my life. It’s cruel to want someone to see everything about you because you can’t imagine yourself as real.

Diese Pessimismus gilt auch den Ideen von Gemeinschaft und Repräsentation: „I had no idea anyone would use the term upstanding member and not be talking about a hard-on. „As an upstanding member of the LGBT community …“ makes me miss a lot of dead and terrible people. Where are my monsters? When I hear the word community, I think of the stoning scene in Shirley Jackson’s „The Lottery„. I wasn’t looking for community. Community was a group of people figuring out how you didn’t belong.

Und deswegen zeigt dieses Buch der Monster und irrelevanten Toten auch die Fallstricke einer Feigenblatt-Repräsentation, die nur allzu gern die lieben und nicht bedrohlichen Schwulen in den Vordergrund stellt, die es sich im Herzen der Wohlstandsgesellschaft gemütlich gemacht haben, während für alle anderen weiterhin gilt: „Nur ein toter Schwuler ist ein guter Schwuler.“

My Dead Book‘ von Nate Lippens sucht seine Leser*innen weit über seine 130 Seiten hinaus heim. Es ist eine Geschichte des Scheiterns und der Trauer, in der aber auch immer wieder der Humor eines Überlebenden (oder einfach einer ‚old queen‘) durchbricht. In diesem pessimistischen und poetische Werk steckt letzten Endes aber nicht nur der Tod, sondern natürlich auch – das Leben.

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