Moritz Franz Beichl – Männer

Moritz Franz Beichl - Männer

Das Problem ist nicht, dass du mich schikaniert hast, dass du eine (relativ) stabile Beziehung zu unserem Vater hattest, dass du jetzt ein weißes Wohnzimmer hast. Mit deiner Ehefrau Karin, der Frau, die du schon in deiner Kindergartenzeit deine beste Freundin nanntest. Das Problem ist dein Selbstbewusstsein. Ein Selbstbewusstsein, das durch die Anwesenheit deines geformten Körpers Räume füllt, ein Selbstbewusstsein, auf das ich neidisch bin, das ich auch gerne hätte. Dein Selbstbewusstsein, deine Selbstverständlichkeit. Du sitzt da und sprichst und keine Sekunde überkommt dich die Angst, etwas Falsches sagen zu können.

Männer‘, nach ‚Die Abschaffung der Wochentage‘ der zweite Roman des Wiener Schriftstellers und Theaterregisseurs Moritz Franz Beichl, beginnt mit einem Ende: Nach dem Tod des Vaters bereiten der Erzähler des Romans und sein Bruder Konrad die Beerdigung vor und versuchen den Nachlass zu regeln. Doch der Verstorbene ist der Einzige, der in Frieden ruht. Was aber ist mit der Wut des Erzählers, der in der endgültigen Abwesenheit des Patriarchen endlich Ruhe und Frieden zu finden versucht?

Innerhalb des Gespräches, das den Ankerpunkt des Romans bildet, versucht der Erzähler aus seinen fragmentarischen Erinnerungen etwas Rundes herauszuarbeiten, ein vollständiges Bild, doch es bleibt bei vereinzelten Punkten, die sich nicht wie bei diesen „Rätsel[n] in den Kinderzeitschriften unserer Vergangenheit [] zu etwas Brauchbarem und Dienlichem zusammenfügen lassen“. Immer weiter arbeitet er sich an Männlichkeitsbildern und den Männern seines Lebens ab, stößt dabei aber immer wieder auf Bruchstellen, die sich nicht zu dem Bild zusammenfügen lassen, das er sich von ihnen und der Welt gemacht hat.

So war die Beziehung des Vaters von einer emotionalen Kühle geprägt, er war stoisch und abwesend, lediglich die Beziehung zum – heterosexuellen – Bruder Konrad war eine innige. Denn nach der Trennung der Eltern war es die Mutter, die ging, und der Vater, der blieb und seine zwei Söhne großzog: „Ich suchte permanent die Schuld für ihr Weggehen beim Vater und verzieh ihm lange nicht, dass er es nicht vermocht hatte, seine damalige Gattin, die Mutter seiner beiden Söhne zu, na ja – überreden? verführen? überzeugen? befriedigen? -, als Mutter und Ehefrau zu bleiben und ihrer jungen Familie zumindest eine Chance zu geben. Er versagte, sie ging. Wir waren drei Männer, eine kleine, tollpatschige Familie. Drei »Männer«.

Sein Bruder Konrad strahlt in seiner selbstverständlichen Heterosexualität Männlichkeit und Selbstbewusstsein aus. Ob Billard, Ballett, Familie mit Frau und Kind – ihm gelingt alles mühelos. Er muss in der emotionalen und physischen Abwesenheit des Vaters als Vorbild herhalten, ein Vorbild, das aber immer unerreicht bleiben muss, weil es so offensichtlich auch auf den eigenen Projektionen beruht.

Der Text ist von drehbuchartigen Szenen durchzogen, in denen der Erzähler Dialoge konstruiert, die so nie stattgefunden haben und mit denen er sich dem gesuchten Bild zu nähern versucht, sich stattdessen von diesem immer weiter entfernt. Denn die Männer seines Lebens entziehen sich dem Klischee der Männlichkeit, an dem er sich so mühevoll abarbeitet. Er droht aus ihnen Karikaturen anstelle von Menschen aus Fleisch und Blut zu machen. Er führt diese Gespräche aber auch, weil sein Bruder unauslöschlich in seinem Körper vorhanden ist und in Anbetracht der Tatsache, dass sein Bruder und sein Vater ihm als Spiegelfiguren dienen und in Anbetracht der Tatsache, dass der Erzähler versichert, keinerlei sexuelles Verlangen für seinen Bruder zu verspüren und „Freud Langeweile mit diesem Fall gehabt“ hätte, ließe sich  sicherlich auch im Sinne der Psychoanalyse eine Menge über diesen Roman schreiben (dieser Rezensent besitzt diesbezüglich jedoch nur eine Menge Halbwissen, angesammelt in lange zurückliegenden Seminaren der Komparatistik, und verzichtet deswegen großzügigerweise darauf).

Natürlich ist es vor allem die Homosexualität des Erzählers, die ihn in den Augen der anderen, in den Augen der Männer, zum Anderen macht. Stets nimmt er die Nebenrolle ein, während sein Bruder – die Verkörperung der heterosexuellen Männlichkeit – mit seiner Standardbiographie im Scheinwerferlicht steht. Dass er anders ist, ist dem Erzähler jederzeit schmerzhaft bewusst, was ihn aber auch in seiner ewigen Auseinandersetzung damit, wie der Roman mit einer gewissen Komik zeigt, in den Wahnsinn zu treiben droht.

Hervorzuheben ist aber auch, mit welcher Selbstverständlichkeit und Offenheit Moritz Franz Beichl die Sexualität seines Protagonisten thematisiert und darstellt und dabei den Druck Männlichkeit zu performen beschreibt – sei es durch promiskuitiven Sex mit Grindr Dates wie Top1979 oder durch den exzessiven Besuch im Fitnessstudio, wie es in der schwulen Community mittlerweile zum guten Ton gehört.

Man tut ‚Männer‘ von Moritz Franz Beichl Unrecht, ihn einen Thesenroman zu schimpfen. Denn der Roman mag die Strickfallen moderner Männlichkeitsbilder darstellen, er zeigt aber genauso, wie unzureichend es ist, sich mit rigiden Vorstellungen Menschen nähern zu wollen, dass diese unweigerlich immer wieder die Fesseln des Klischees sprengen. Und all das macht Moritz Franz Beichl in seinem zweiten Roman mit sehr viel Zärtlichkeit und der nötigen Portion Humor.

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