Larry Kramer – Faggots

Larry Kramer - Faggots

Faggots von Larry Kramer (1935-2020) gilt als einer der Klassiker der schwulen Literatur schlechthin. Trotzdem sind Kramer und sein Werk in Texten zur Geschichte der queeren Literatur höchstens Randfiguren. Auf Deutsch (‚Schwuchteln‘, aus dem Englischen von Peter Peschke) ist das ursprünglich 1978 erschienene Buch sogar erst 2011 erschienen. Faggots war ein Bestseller, seine schwule Leserschaft und die Kritik begegneten dem Buch – und auch seinem Autor – mit Hass und Abscheu. Das hatte Larry Kramer aber vermutlich vorhergesehen, wenn nicht sogar geplant.

Faggots ist eine beißende Satire auf das schwule Ghetto New Yorks der 1970er Jahre. Im Mittelpunkt steht der 39-jährige Fred Lemish, der in einer Welt, in der alle nur Sex wollen, die große Liebe sucht. Eine dreitägige Odyssee führt ihn von den Saunen des Everhard, über das Meat Rack, The Toilet Bowl und The Pits, bis zum legendären Schwulenparadies Fire Island. Diese Welt wird bevölkert von einem Reigen an Figuren – wie beispielsweise Randy Dildough und Billy Boner – die im Laufe der Handlung immer schwerer auseinanderzuhalten sind und zu einer inzestuösen – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne – Masse verschmelzen.

Kramer beschreibt eine Welt, die nur die sexuelle Devianz kennt: Orgien, Drogen, Sadomasochismus, sexuelle Erniedrigung. Jeder Akt muss überboten werden, das Motto lautet ‚Mehr ist besser‘. Auch wenn sie zur Liebe nicht fähig sind, können diese Männer moralisch nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil sie buchstäblich noch immer in ihrer eigenen Scheiße wühlen und nicht erwachsen werden wollen.

Die Aufregung zur Zeit der Veröffentlichung war so groß, dass New Yorks einziger schwuler Buchladen Faggots seiner Zeit aus dem Sortiment verbannte. Erst Mitte der 80er, als das Buch neu aufgelegt wurde und AIDS wütete, kam es zu einer kritischen Neubewertung. Mittlerweile wusste man, dass viele der im Roman kritisch dargestellten Verhaltensweisen zu einem erhöhten Infektionsrisiko führten. In seinem Vorwort schreibt Reynolds Price: Faggots struck a chord. It exuded a sense that gay men could do better if they understood themselves as fully human, if they could shed their self-loathing and self-deception”. Diese Menschlichkeit gewährt Kramer seinen Figuren allerdings nicht. Sie alle sind zweidimensional und entsprechen irgendeinem homophoben Klischee. Abseits davon ist das Buch ungefähr 150 Seiten zu lang, um noch lustig zu sein. Der Stil lässt sich am besten als manisch beschreiben. In diesem Kontext werden meiner Meinung nach allerdings zwei wichtige Aspekte übersehen.

Larry Kramer war, bevor er Faggots schrieb, als Drehbuchautor äußerst erfolgreich. Für das Drehbuch zu Woman in Love wurde er 1969 sogar für einen Oscar nominiert. 1986 brachte er The Normal Heart auf die Bühne (das Drama wurde 2014 von Ryan Murphy für HBO verfilmt), eine der ersten künstlerischen Auseinandersetzungen mit AIDS. Larry Kramer ist als Künstler bis heute vor allem als Dramatiker in Erinnerung geblieben. Auch Faggots lebt von seinen Dialogen. Irgendwo in diesem Roman steckt ein – vermutlich guter und zum Brüllen komischer – Film.

Abseits davon erinnert der Roman an den Redeschwall eines Neurotikers, der sich auch nicht davor scheut, das Publikum – womöglich den eigenen Therapeuten? – zu fragen, ob es noch den Überblick behalten hat, wie viel Zeit denn nun eigentlich vergangen sei. Faggots ist nicht nur verdammt schwul – es ist auch ein jüdisches Buch. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sowohl Fred Lemish als auch die Erzählstimme dem Archetyp des „neurotischen Juden“ entsprechen. Die ausschweifenden Witze über Therapie, die Psychoanalyse und körperliche Ausscheidungen haben Tradition in der jüdischen Literatur. Über das Verhältnis von Queerness und Jüdischkeit in Faggots ließe sich sicherlich eine eigene Abhandlung schreiben.

Wenn heute von Larry Kramer gesprochen wird, dann als AIDS Aktivist: 1981 hat er die Gay Men’s Health Crisis mitbegründet, verließ die Organisation schnell aber wieder aufgrund seiner radikal konfrontativen Politik. Daraufhin gründete er 1987 ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power), eine führerlos und anarchistisch strukturierte Organisation, die sich dem Kampf gegen AIDS verschrieben hat und durch öffentliche Protestaktionen Druck auf die Pharmaindustrie und Lobbyisten ausgeübt hat. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Larry Kramer im Alleingang die Reaktion der Politik auf AIDS geändert und zahllose Menschenleben gerettet hat. Trotzdem blieb er Zeit seines Lebens eine umstrittene Figur aufgrund seiner Polemik und oft sexfeindlichen Predigt von Abstinenz als einzigen Schutz gegen AIDS.

Diese Kritik soll nicht implizieren, dass Larry Kramer kein Held war. Denn nicht weniger war und ist er – auch für mich. Er war aber vor allem – ach! – ein Mensch.

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