Wahrheit und Versöhnung, das ist der Weg, den Südafrika seit 1994 mit dem Ende der Apartheid geht. Doch dafür muss mit dem Schweigen gebrochen und die kollektive Amnesie abgeschüttelt werden. Wie das geht, zeigt Koleka Putuma in ihrer Gedichtsammlung Kollektive Amnesie, erschienen in der Buchreihe AfrikAWunderhorn.
I don’t want to die with my / hands up / or / legs open.
Koleka Putuma ist schwarz und lesbisch, eine Frau* (im Original womxn). Ihre Identität, ihre Stimme ist eine derer, die der kollektiven Amnesie zum Opfer zu fallen droht. Dagegen schreibt sie mit ihren Gedichten an, erinnert und archiviert. Nun wirft man solcher Lyrik ja gerne vor, sie sei zu politisch und … nun ja, was eigentlich genau? Vermutlich nicht universell genug. Das setzt natürlich voraus, dass die restliche Lyrik nicht politisch ist und verkennt ein gewisses Privileg, welches diese Ignoranz überhaupt ermöglicht. Oder um es mit den Worten von Audre Lorde zu sagen: „There is no thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives.“
How come your revolution always wants to go rummaging thorugh my underwear?
Kollektive Amnesie ist aber mehr als eine stumpfe Abrechnung mit der westlichen Welt, die sich nur all zu gern als Erlöser des an Hunger und Armut krankenden Afrikas sehen möchte. Wenn Putuma Änderungen erreichen will, dann sind sie lokal und konkret. Ihre Kritik richtet sich an schwarze Solidarität, welche die Vergewaltigung von Frauen* und Femizid ignoriert und auch ermöglicht. Auch Nelson Mandela ist in ihren Augen nur ein Vertröster, ein leeres Versprechen auf Wahrheit und Wiedergutmachung, und eine Ikone, die gut und gerne von Weißen bewundert wird.
Daddy, / If I were crucified / And dumped in a tomb for three days / And rose again as a headline / Woud you preach about me?
Als Tochter eines Predigers sind Putumas Texte natürlich mit Bildern der Bibel gespickt. Das hat etwas durchaus Didaktisches. Dass queere Literatur in Zeiten des Widerstands diese Position einnimmt und sich dabei der Sprache des Gegendiskurses bedient, ist jedoch altbekannt. Hier haben wir also durchaus ein universelles Merkmal queerer Literatur gefunden. Putumas Gedichte können aber glücklicherweise mehr als Blut und Verderben und nutzen ebenso die allegorische Kraft der Bibel, um genauso eindrücklich über Widerstand, Zärtlichkeit und Gemeinschaft zu berichten.
Ein paar Worte zur Übersetzung: Glücklicherweise ist Kollektive Amnesie eine zweisprachige Ausgabe. Paul-Henri Campbell gibt den Gedichten in der deutschen Übertragung einen schnodderigen Ton, den sie im Original gar nicht aufweisen – und auch überhaupt nicht nötig haben (und lässt sich hier und da auch zu etwas fragwürdigen Übersetzungen hinreißen). Umso dankbarer bin ich AfrikAWunderhorn, die mit der Veröffentlichung von Kollektive Amnesie auch bei uns ein Erinnern und Verlernen ermöglichen – und das auf Wunsch auch im Original.