„Vielen Dank für Ihre Geduld. Mein Name ist Jimmie. Was kann ich für Sie tun?“
Jimmie ist kein David. Obwohl sein Körper zu viel Raum einnimmt, seine Organe von schlechtem Fett umgeben sind, zieht er die Blicke nicht auf sich. Zu früh wurde er dem italienischen Mutterboden entrissen, wo selbst die letzte schimmelige Tomate noch Persönlichkeit besitzt, um wie David eine vorzeigbare Brust mit einem mediterranen Pelz vorzuweisen. Jimmy ist einer der gesichtslosen Menschen, ein Sack Knochen, der außerhalb der Mauern des Call Centers nicht sichtbar ist.
‚Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?‘ (aus dem Englischen von Milena Adam) ist nach ‚Der Termin‘ der zweite Roman von Katharina Volckmer. Hier ist es keine junge Deutsche, die einem jüdischen Arzt ihr Leid klagt, sondern ein junger Italiener, der den Beschwerden anderer lauschen muss. Jimmy arbeitet im Call Center von Vanilla Travels Ltd, seine Kundschaft ruft aus aller Welt von Orten an, die er sich nie wird leisten können. Ihre Beschwerden sind banal bis skurril – ein Haar auf dem Kissen, romantische Spa-Wochenenden, die nur für Paare, nicht aber für Singles angeboten werden, zu orangene Hotelzimmer – doch sie verraten viel über unsere Welt und über menschliche Bedürfnisse. Und Jimmy begegnet diesen Anfragen mit einer Mischung aus brutaler Ehrlichkeit und ebenso skurrilen Ratschlägen.
Und vielleicht ist das auch der Grund, warum Jimmie noch immer wie ein mit greller Farbe gebrandmarktes Schaf einen vereinheitlichenden Kapuzenpulli tragen muss, warum er nicht wie sein Kollege David „vom gewöhnlichen Callcenteragenten zum Supervisor befördert worden war“. Dabei sind Jimmie und seine Kolleg*innen alle gleich nutzlos. Ihre Flügel sind gestutzt, ihre Körper gehören ihnen nicht mehr selbst: „Sein Job war in seinen Körper eingedrungen. Er konnte nicht mehr bestimmen, wo der Teil, der ihm selbst gehören sollte, begann, und wann er bloß die Gitterstäbe des Käfigs streifte, in dem er gezwungen war zu arbeiten.“ Für menschliche Bedürfnisse herrscht eine Nulltoleranzpolitik. Ihre Existenz soll eine immaterielle sein, ihre Körper möglichst keine Ausscheidungen produzieren. Es ist ein Ort ohne Würde und ohne Tageslicht.
Doch das Call Center ist auch ein Ort des Begehrens, denn nur für David hat Jimmie den roten Lippenstift seiner Mutter aufgetragen. Es ist in mehrerlei Hinsicht ein verbotenes Begehren, denn immerhin ist dieses Verlangen am Arbeitsplatz ein Ausdruck von menschlichen Bedürfnissen. Ein Bedürfnis, das die Befindlichkeiten der dominanten Erscheinungsgruppe zu reizen droht, ist es doch nicht vorgesehen, dass jemand wie Jimmie, der reduziert auf eine Stimme und tief in einem maroden Stollen arbeitend, um die Aufmerksamkeit eines Prinzen da oben buhlt.
‚Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?‘ erzählt auch von Herkunft und Identität, davon nirgends dazuzugehören. Als Kleinkind und noch nicht ausgeformt wurde er von seiner Mutter in ein fremdes Land geschleppt, nun lebt er in dem Wissen, dass es in dem anderen Land kein Leben mehr gibt, in das er zurückkehren könnte. Alles, was ihm bleibt, ist der seltsame Dialekt seiner Mutter, ihm fehlt der Zugang zur Sprache und zur Kultur. Seine Umwelt sieht bloß ein Klischee in ihm: „Wolf hatte keine Ahnung, wie es war, wenn die Leute in dem neuen Land, dessen Sprache man erst noch lernen, verdauen und zu einem Teil von sich machen musste, nur das Gute in der eigenen Kultur sehen wollten. Die Scheiß-Dolce-Vita, die man mit sich herumzutragen hat, wohin man auch geht, die weniger verklemmten Versionen seiner selbst, deren Stellvertreter er war.“
Katharina Volckmer, die aus Deutschland stammt, aber schon viele Jahre als Literaturagentin in London lebt, sagte über ihren ersten Roman ‚Der Termin‘, dass erst die Distanz es ihr erlaubte, so offen über Deutschtümelei und den von Neurosen geplagten Versuch der Vergangenheitsbewältigung zu schreiben. Scheinbar ist diese Distanz auch hilfreich, um derart lustig und zugleich menschlich über Körperlichkeit, Kapitalismus, Herkunft, Mutterkomplexe, Begehren und Identität zu schreiben, wie Katharina Volckmer es in ‚Hallo mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?‘ getan hat.