Göttingen, 1984: Tom ist zwanzig und leistet seinen Zivildienst in einem Krankenhaus. Sein Leben spielt sich in der Autonomenszene ab, mit seinen Freund*innen besetzt er Häuser, plant Demos und Protestaktionen. In diesem Umfeld lernt er Felix kennen – der eine Freundin hat und in den er sich verliebt. Und weil sie wissen, dass das Private politisch ist, soll ihre Beziehung frei von jeglichen Besitzansprüchen sein:
„Romantische Liebe, Zweisamkeit, das Konzept von Ehe und Treue taugt für uns nicht als Vorbild. Sie sind der Konsens der bürgerlichen Gesellschaft. So wollen wir nicht sein. Autonomie und Kollektivität sind unsere Maxime. Gemeinsamkeit und Unabhängigkeit, den Ausgleich zwischen widerstreitenden Bedürfnissen zu suchen und zu leben, das ist unser tägliches Bemühen.“
Dieses Bemühen gleicht jedoch oft einem Kampf, ein Kampf, in dem der eine mehr als der andere einsteckt. Die Kollision von Idealen und der Realität erfolgt spätestens als Felix Tom mit der Diagnose ‚HIV-positiv‘ konfrontiert. Der Tod verändert die Spielregeln, Ideale und Vorstellungen davon, wie das Leben auszusehen hat, werden auf den auf den Kopf gestellt. Tom, der ein Schauspielstudium in einer anderen Stadt nachgedacht hat, muss sich entscheiden, ob er alles aufgibt, um Felix zu pflegen, dessen Zustand sich rapide zu verschlechtern scheint.
Felix von Holger Brüns ist in einer einfachen, zurückhaltenden Sprache geschrieben, die dem Wunsch zu entsprechen scheint, ein einfaches Leben, ein richtiges Leben zu führen, die aber schnell im Kontrast steht zum Einbruch der Realität in die Idylle des kollektiven Zusammenlebens.
All das macht Felix allerdings nicht zu einem niederschmetternden Buch, vielmehr zeichnet es sich durch seine Zwischentöne aus. Denn Brüns schafft es mühelos die Leichtigkeit eines Lebensabschnitts und einer Generation heraufzubeschwören, der die Welt noch offen steht – auch im Angesicht von AIDS, im Angesicht des Kalten Krieges und der atomaren Gefahr. Konzerte, spontane Ausflüge, Reisen nach Portugal mit dem Auto, Billard und Tischfußball. Auch das ist das Leben.
Einen ähnlich leiten Umgang findet Brüns auch im Hinblick auf die Sexualität seiner Protagonisten. Felix zeigt, dass es auch in den 80ern durchaus herrschaftsfreie Räume gab, in denen die Sexualität der Menschen, die sich in ihnen bewegten, keine große Rolle gespielt hat. Das soll nicht heißen, dass es keine Homophobie gab. Vielmehr hilft diese Darstellung dabei, ein komplexeres Bild unserer Vergangenheit zu zeichnen, die uns immer auch etwas über unsere Gegenwart verraten kann.
Holger Brüns hat mit Felix einen politischen Roman geschrieben, den es in dieser Form so kaum noch gibt. Weil der Roman aber konsequent das Politische und das Persönliche gleichstellt, ist Felix ebenso ein Coming-of-Age-Roman, eine Geschichte über die erste große Liebe, über Aktivismus und Gemeinschaft.
Felix ist kurzweilig und hallt doch nach. Brüns erliegt nicht der Versuchung Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen, er schreibt über eine kleine Gruppe von Menschen zu einem bestimmten Punkt in der Geschichte. Gerade deswegen ist es möglich, wenn nicht Parallelen zu ziehen, so doch eine Kontinuität zu erkennen im Bestreben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und das macht Felix vor allem zu einem idealistischen Roman.
2019 ist im Verbrecher Verlag Vierzehn Tage: Eine Sommernovelle von Holger Brüns erschienen. Auch hier tritt der Erzähler von Felix als Protagonist in Erscheinung.