Von Anfang hat Garth Greenwell deutlich gemacht, dass sein Debütroman What Belongs to You und sein Nachfolger Cleanness ein Projekt sind. Dieses Mal begegnen wir dem namenlosen amerikanischen Expat dabei, wie er sein Leben in Sofia navigiert und seine Rückkehr in die USA vorbereitet. What Belongs to You wurde schnell – zurecht! – als moderner Klassiker der queeren Literatur gefeiert. Auf der Welle dieses Erfolgs erzählt Cleanness noch eindrucksvoller davon, was es bedeutet, queer zu sein
Cleanness ist ein Buch mit vielen Themen und Motiven. Weder Roman noch Kurzgeschichtensammlung besteht das Buch aus drei Teilen mit jeweils drei Kapiteln in einer alles anderen als chronologischen Abfolge – ‚Lieder cycle‘ nennt Greenwell diese Komposition. Die erste Geschichte ‚Mentor‘, in der ein Schüler des Erzählers von seiner ersten Liebe berichtet, liest sich wie eine Allegorie der queeren Literatur und ihrer Möglichkeiten und Kräfte, und wirft die Frage auf, wieso wir die gleichen Geschichten immer wieder erzählen und wieso wir sie womöglich nicht mehr hören wollen. Eine andere Geschichte wiederum erzählt von einem Sexdate, welches eine erschreckende Wendung nimmt. Im Herzen des Buches steht weiterhin das Begehren und wie es uns antreibt, aber auch wie nah unser Begehren und die Traumata unserer Vergangenheit beieinander liegen und wie eine Konfrontation mit dem Abgrund eine Form der Freiheit bringen kann. Mitten im Schmutz ist es möglich, eine quasi religiöse Erfahrung zu machen.
Das Pornografische und die Kunst vereinen, das ist Greenwells Anliegen. Nur wenige schreiben so offen über queeren Sex wie er es hier tut – und so gut. Zahllose Stellen haben mir beim Lesen den Atem geraubt. Wie das Vertraute und das Fremde hier eine eigene Sprache finden, gleicht einem Akt der Befreiung. Greenwell sieht sich in der Tradition von Thomas Mann, Virginia Woolf und James Baldwin und Cleanness ist der Beweis, dass er ihren Weg unerschrocken fortsetzt. Kunst und das Politische finden hier mühelos zusammen – und politisch besetzt sind queere Leben immer, was den Vorwurf mancher Kritiker, Cleanness sei nicht politisch genug ad absurdum führt.
Cleanness ist der Beweis, dass queere Literatur nicht am Rand existiert, sondern in der Mitte – ja, im Herzen – der Literatur.