Ready for Take-off? Flugbegleitung gesucht für Chill & Play: Unfähig den desolaten Zustand seines Lebens zu konfrontieren, stürzt sich Stu in ‚Horny & High Vol. 2‘ (aus dem Englischen von Timm Stafe) in die Höhen einer nicht enden wollenden Chemsex-Party. Doch der Flug endet im Absturz und Stu droht alles zu verlieren. Seine Würde, seinen Verstand und auch sich selbst.
Auch die Fortsetzung von Ed Firth‘ als Heptalogie angelegter Comicreihe über den sympathischen Antihelden Stu erzählt eine Geschichte von Lust, Drogen, Rausch, Begehren, Sucht, Einsamkeit und (falscher) Intimität. Doch treibt Firth alles, was den ersten Teil ausgemacht hat, hier konsequent voran. Während ‚Horny & High Vol. 1‘ eine Art Momentaufnahme war, der Schnappschuss einer Atmosphäre, zeigt sich Vol. 2 der Graphic Novel weitaus handlungsorientierter – was nicht heißt, dass Firth sich nicht Zeit für die kleinen Momente nehmen würde.
Stu ist arbeitslos, hochverschuldet und kann die Miete seines Londoner WG-Zimmers nicht zahlen. Er landet in seiner Verzweiflung auf den Apps und über mehrere Umwege auf dem Chillout von Paco und Pawel. Was folgt, sind Momente der Intimität und ein von Drogen befeuerter, existenzialistischer Horrortrip, der Stu mit den Geistern der Vergangenheit und dem von Amy Winehouse konfrontiert.
‚Horny & High Vol. 2‘ zeigt, dass diese Chemsex-Partys in gewisser Weise das sind, was romantischere Schriftsteller einst als die Begegnung von Schiffen bei Nacht genannt haben. Wie beim Cruising treffen hier Männer aller Klassen und Gesellschaftsschichten aufeinander. Vom Lehrer, über den Krankenpfleger bis hin zum arbeitslosen Künstler. Chills sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie sind aber auch Ausdruck dessen, was Michael Hobbes 2017 in einem (seitdem in der Schwulen Community regelmäßig zitierten) Artikel in der Huffington Post ‚The Epidemic of Gay Loneliness‘ genannt hat.
Dem Fluss der Zeit und der Handlung folgend, sind die Panels quadratisch und ordentlich aneinandergereiht – bis sie in einem Mix aus Drogen und Sex miteinander verschmelzen und im Rausch nicht nur die Regeln von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt werden, sondern auch die der gesellschaftlichen Konformität. Vol. 2 ist komplett in schwarz/weiß gehalten, vielleicht auch weil Firth‘ Blick auf das Geschehen dieses Mal weitaus pessimistischer ist, vielleicht aber auch weil es Stus emotionale Verfassung widerspiegelt. Intimität ist hier oft nicht mehr als eine Illusion des Rauschs, echte Intimität ist flüchtig und kaum zu greifen. In der gefährlichen Mischung aus Sex und Drogen offenbaren sich Machtgefälle und die Abgründe der Sucht. Trotzdem verliert Firth sich nicht mehr in Schwarz/Weiß-Malerei und färbt seine Figuren mit Tiefe und Menschlichkeit.
Titel wie ‚Horny & High Vol.2‘ sehen sich immer mit der Frage konfrontiert, wer denn nun eigentlich das Zielpublikum sei, wird hier doch eine spezifische Subkultur abgebildet, deren Darstellung – so zumindest die Annahme – nur für ein Nischenpublikum interessant sein kann, ähnlich wie queere Autofiktion gerne als Nabelschau einer von Identitätspolitik besessenen Elite abgeschrieben wird. Nicht nur, dass diese Art der Argumentation meiner Meinung nach der Beweis eines intellektuellen Bankrotts darstellt, sie ignoriert auch, dass in der Kunst das Spezifische schon immer auch Ausdruck der unendlichen Variationen der universellen menschlichen Erfahrung gewesen ist.
Vor dem Nachlegen wird gewarnt. Doch mit ‚Horny & High Vol. 2‘ verlangt Ed Firth sowohl von seiner Figur als auch von seinen Leser*innen in jeglicher Hinsicht mehr. Und das zahlt sich aus, denn dieser Rausch mit seinen Höhen und Tiefen sorgt trotz aller Extreme nicht für Katerstimmung. Wie gut, dass Ed Firth plant, Vol. 3 in diesem Jahr fertigzustellen. Die nächste Party kann kommen.