‘Horny & High Vol. 1’ (aus dem Englischen von Timm Stafe und mit einem Vorwort von Ralf König) ist die Graphic Novel des britischen Künstlers Ed Firth, der schon mit seinem Kult-Zine ‚Pound Shop‘ Aufmerksamkeit erregt hat. Hier erzählt er eine Geschichte über Rausch, Lust, Einsamkeit, Drogen und Intimität.
Die aus drei Kapiteln bestehende Graphic Novel (Nachtbus, Chill-out und ♫) hat wenig Handlung, vielmehr stehen hier Atmosphäre und Momentaufnahmen im Vordergrund: „Wir tauschten Nummern aus, aber dabei blieb es dann. Bei diesem einen Moment.“ Seien es die Gedanken an eine verflossene Liebe während der Heimfahrt in einem Nachtbus und dem verkaterten Morgen danach oder die scheinbare Idylle einer Begegnung an einem Cruising-Spot unterlegt mit dem Gesang der Vögel. Doch das Herzstück bildet das Kapitel ‚Chill-out‘, das einem Höllentrip gleicht ähnlich der Reise ins Herz der Finsternis.
Ed Firth portraitiert einen Teil der schwulen Londoner Subkultur in den 2010er Jahren (also bevor PrEP zur Safersex-Strategie 2.0 wurde), der auch heute noch im Verborgenen stattfindet und über den kaum gesprochen wird: die Chillout, was ein gewisser Euphemismus für eine Chemsex-Party ist. Hier treffen sich schwule Männer für (anonymen) Sex, neue Anwärter für die Party werden auch schon mal per Grindr gesucht, während man noch im vorherigen steckt. Man berauscht sich an ‚ätherischen Ölen‘ mit so illustren Namen wie Rush, Jungle Juice, Blue Boy und Amsterdam – und konsumiert Substanzen wie Mephedron und G, eine Droge, die in der schwulen Community in den letzten Jahren rasant Verbreitung gefunden hat und einer Überdosis schnell zum Tod führen kann.
‚Horny & High‘ thematisiert all das eindringlich, mitunter mit simplen wie effektiven Tricks. Ein Großteil der Panels in diesem Kapitel sind vollständig in rot gehalten, was dem Geschehen einen beinahe unwirklichen Effekt verleiht. Das wird besonders deutlich in einer Szene, in der Stu – der Held oder (je nachdem wie man das sieht) Antiheld der Graphic Novel – in einem ruhigen Moment durch die Jalousien auf das alltägliche Geschehen auf den Straßen schaut. Es könnte aber genauso gut auch ein Blick in ein fernes Universum sein. Die Chill-out hat ihre eigenen Regeln von Raum und Zeit, weder ihre Besucher noch Leser*innen können mit absoluter Gewissheit sagen, wie viel Zeit sie hier eigentlich verbringen.
Die Graphic Novel verliert sich deswegen aber nicht in Nihilismus oder Moralpredigten, denn zwischen all den Drogen, dem Sex und der Anonymität dringt immer wieder die Menschlichkeit und auch der Humor hervor. Ed Firth gelingt es auf gerade einmal 58 Seiten Menschen in all ihren Facetten und Widersprüchen einzufangen. Das fängt bereits damit an, dass hier keine muskelbepackten Männer auftreten, sondern „ganz alltägliche Männer, die auf mich gerade darum umso erotischer wirken“, wie Ralf König in seinem Vorwort schreibt. Noch mehr trifft das aber auf das (Zwischen)menschliche zu, denn Ed Firth portraitiert Menschen als all das, was sie sind: fehlerbehaftet und kompliziert, sympathisch und dann wieder nicht, hilfsbereit und dann wieder apathisch.
Von ‚Horny & High‘, das auf eine Heptalogie ausgelegt ist, ist für das Frühjahrsprogramm 2024 bereits der zweite Teil angekündigt, auf den ich mehr als nur gespannt bin. Bereits der erste Teil erzählt über das Thema der Chemsex-Partys eine Geschichte über die Epidemie der schwulen Einsamkeit und was schwule Männer bereit sind zu tun, um ihr zu entkommen. Die Graphic Novel ist mit ihrem sympathischen Antihelden aber vor allem ein Beweis dafür, dass wir uns den Menschen zuwenden, nicht weil sie stets sympathisch und nett sind, sondern eben weil sie es nicht sind.
„Ich bin Ed Firth-Fan.“, so schließt Ralf König treffend sein Vorwort ab. Und ich möchte es auch kurz und knapp dabei belassen.