Danny Ramadan – Nebelhorn-Echos

Danny Ramadan - Nebelhorn-Echos 01

Wenn ich jemanden liebe, geht es dann um die Liebe, die ich für ihn bewahre, oder um die Liebe, die er von mir empfängt? Wassim zu lieben war eine immerzu glühende Kohle, die ich in den Händen hielt, auf den Handflächen hüpfen ließ, in der Hoffnung, sie würde abkühlen. Dann stieß ich ihn von mir, und er war fort. Soll so die Liebe sein? Ein ständiges Zerbrechen und Neugestalten meines Herzens, bis es nur noch ein Klumpen aus blutigen Muskelfasern und Gewebe ist?

Es beginnt mit dem Ende der Unschuld, dem Ende der Kindheit. Der Krieg ist 2003 noch nicht in Syrien angekommen, die amerikanische Irak-Invasion ist aber überall zu spüren: in den Straßen, den Gesprächen und in der Schule, wo Wassim und Hussam mit einem Mal wie Soldaten ausgebildet werden, anstatt zu turnen wie die Jungen, die sie bis vor kurzem noch waren. Die aufkeimende Liebe der beiden Jungen liegt im Schatten eines plötzlich Akts der Gewalt, bringt sie einander aber auch unweigerlich näher. Etwas mehr als zehn Jahre später lebt Hussam jedoch als Geflüchteter in Vancouver und Wassim im vom Krieg heimgesuchten Damaskus. Was ist passiert, dass sich die Wege der beiden Liebenden trennen mussten?

Nebelhorn-Echos‘ (aus dem Englischen von Michael Ebermeyer) ist nach ‚Die Wäscheleinen-Schaukel‘ der zweite Roman von Danny Ramadan. Während Ramadans Debüt die sich über Jahrzehnte und Kontinente erstreckende Liebe zweier syrischer Geflüchteter in Kanada bis in den Tod nacherzählt, ist sein Nachfolgeroman intimer und konzentrierter. ‚Nebelhorn-Echos‘ liest sich aber auch wie eine Antwort, denn beide Texte spielen (in Teilen) mit ähnlichen Ausgangssituationen, beschreiben alternative Szenarien und schließen (ganz bewusst, wie mir scheint) Lücken, die sich in der jeweils anderen Erzählung auftun.

Der Roman schildert die Ereignisse in Vancouver und Damaskus in einander abwechselnden Kapiteln und enthüllt so nach und nach, welche Ereignisse dazu geführt haben, dass Wassim und Hussam an entgegengesetzten Enden der Welt leben. Ramadan lässt in seinem Roman das Metaphorische und das Metaphysische ganz selbstverständlich aufeinanderprallen: Beide Männer werden sie von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Während Hussam in der schwulen Welt Vancouvers versucht, sich von ihnen mit Drogen und Sex zu befreien, flüchtet Wassim im vom Krieg gekennzeichneten Damaskus in eine leerstehende Villa und wird dort mit dem Geist der früheren Bewohnerin seiner Zuflucht, Kalila, konfrontiert, die „für Geisterklischees wie nächtliche Erscheinungen oder Kratzgeräusche langer Fingernägel“ nicht zu haben ist. Ausgerechnet sie ist es, die Wassim mit den vermeintlichen Sünden seines Lebens versöhnen und ihn ins Leben zurückführen will.

Die Geschichten beider Männer erzählen von äußeren Mächten, die unser Leben kontrollieren, und dem ständigen Versuch, sich diesen Mächten und der daraus resultierenden Scham zu entziehen, halten beide Männer doch oft ihren eigenen Einfluss, ihre eigene Schuld für größer als sie unter solchen Umständen überhaupt sein kann:

Sie antwortet nicht, sondern sagt: »Ich glaube, du hast getan, was jeder Verliebte tut. Du hast deinem Körper erlaubt, sich in die Liebe hineinzustürzen.«
»Meine Liebe hat Hussam kaputtgemacht.«
Sie blickt mir in die Augen. »Ich glaube, du lädst dir die Sünden anderer auf. Sünden, die du nicht begangen hast.«

Es ist aber auch die Geschichte über das oft unsichtbare Trauma Geflüchteter und über die Arroganz derjenigen, die blind und taub für ihre Geschichten sind und von ihnen erwarten, dankbar und glücklich zu sein.

Wie aber auch schon ‚Die Wäscheleinen-Schaukel‘ ist ‚Nebelhorn-Echos‘ ein Text über die erlösende Kraft des Erzählens. Auch deswegen bewegen sich beide Figuren in einer Welt, in der Erlösung, Freiheit und Verdammnis nahe beieinander liegen. Es ist eine Welt der schillernden Drag Queens und der Männer, die einander im Al-Medfaa-Park unbeobachtet Zärtlichkeiten zuflüstern und der Chemsex Partys und der Zwangsehen. Ramadan beherrscht das seltene Talent, all seinen Figuren voller Menschlichkeit zu begegnen, ihre Wunden und Traumata offenzulegen, ohne sie deswegen dem Voyeurismus einer nach Spektakel gierenden Leser*innenschaft feilzubieten.

Nebelhorn-Echos‘ erzählt von Krieg, von der Frage, was Liebe ist, und von dem Preis, den jene zahlen, die den Weg über das Meer wählen. Das sind große Themen. Glücklicherweise ist Danny Ramadan ihnen mehr als gewachsen.

Danny Ramadan ist Schriftsteller und Journalist und setzt sich als Aktivist für queere Geflüchtete ein. Im Orlanda Verlag sind neben ‚Nebelhorn-Echos‘ auch sein Debütroman ‚Die Wäscheleinen-Schaukel‘ erschienen und ‚Bei Selma zu Hause‘, ein Kinderbuch mit Illustrationen von Anna Bron.

Danny Ramadan - Nebelhorn-Echos 02
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