Benoit d’Halluin – Nacht ohne Morgen

Benoit d'Halluin - Nacht ohne Morgen

Benoit d’Halluins Debütroman (aus dem Französischen von Paul Sourzac) erzählt in mehrerlei Hinsicht von einer ‚Nacht ohne Morgen‘. Catherines Sohn Alexis wurde von einem Unbekannten auf einer Brücke in Upstate New York angefahren und liegt seitdem im Koma. Nun bricht sie an der Seite eines Fremden im nächtlichen Frankreich auf, um ihrem Sohn zu Hilfe zu eilen. Dieser Fremde ist Marc, der Partner ihres Sohnes, von dem sie wie auch von Alexis‘ Sexualität nichts wusste. Zugleich ist die ‚Nacht ohne Morgen‘ auch die Geschichte der beiden Männer, eine Erzählung über die Dunkelheit im Leben, die nur durch die erlösende Kraft der Liebe vertrieben werden kann.

Nacht ohne Morgen‘ operiert auf mehreren Zeitebenen und Perspektiven. In der Gegenwart versucht Catherine die Offenbarung über ihren Sohn mit ihren eigenen Erinnerungen abzugleichen, herauszufinden, wieso ihr Sohn sich ihr nicht anvertrauen konnte und er für dieses Verbrechen verantwortlich sein könnte – vielleicht sogar Marc, der Fremde an ihrer Seite auf der Reise durch diese Nacht ohne Morgen? Parallel dazu erzählt der Roman in einander abwechselnden Kapiteln die Geschichte von Marc und Alexis von den späten 90er Jahren bis in die Gegenwart. Ihre Geschichten und ihre Herkunft sind unterschiedlich und doch können beide, wenn sie endlich aufeinandertreffen, nur schwer anderen vertrauen und müssen die Traumata ihrer Vergangenheit verarbeiten.

Marc stammt aus einfachen Verhältnissen, seine Mutter hat die Familie verlassen, als er gerade einmal fünf Jahre alt war, sein Vater hat ihn verstoßen, als er von seiner Homosexualität erfahren hat: „Seine chaotische Kindheit ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen, was seiner Entschlossenheit allerdings nichts anhaben konnte. Vorstudium in Nizza, Wirtschaftsuni in Paris: Marc hat einen Weg eingeschlagen, der in keiner Weise vorgezeichnet war, den er jedoch für den sichersten und schnellsten hielt, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Sein tristes, engstirniges Milieu.“

Alexis hingegen stammt aus einer gutbürgerlichen Familie. Er ist empfindsam und schon als Kind zu erwachsen für sein Alter. Er interessiert sich nicht für Mannschaftssport und auch raufen mag er sich nicht mit den anderen Jungen, um den Mädchen zu imponieren. Doch auch in dieser Familie ist nicht alles Gold, was glänzt, und so wird im Verlauf des Romans klar, dass es im Leben beider Männer Personen gibt, die ihnen nach dem Leben trachten könnten. In dieser Hinsicht ist die Liebesgeschichte, die d’Halluins Roman ‚Nacht ohne Morgen‘ erzählt, auch wie ein Kriminalroman konstruiert.

Nacht ohne Morgen‘ ist ein Roman, indem alles – die Sprache, die Gefühle und auch die Ereignisse – überbordend ist. Das macht den Sog des Textes aus, ist aber auch seine größte Schwäche. Benoit d’Halluins Sprache ist melodisch, ja fast lyrisch, eine weitere Ebene, auf der die Liebe von Marc und Alexis besungen wird, allerdings gleicht diese Melodie nach spätestens 100 Seiten einem Zuckerschock. In dem Versuch, die Liebe dieser beiden Männer zu erhöhen (und auch um Spannung aufzubauen), werden alle anderen schwulen Figuren in diesem Roman in ihrem Verhalten pathologisiert. All diese Männer wollen keine Beziehung oder sind beziehungsunfähig, sie suchen den schnellen Sex, nehmen Drogen und lassen sich von ihren selbstzerstörerischen Impulsen treiben. Es wäre unsinnig, dem Autor deswegen so etwas wie Homophobie vorzuwerfen. Was sich aber ganz klar festhalten lässt, ist, dass der Autor in diesem Text eine neoliberale Vorstellung von Homosexualität darstellt, die auf Konsum, Integration und Toleranz beruht.

All das ist – und dieser kleine Seitenhieb soll mir bitte verziehen sein – im Angesicht von Benoit d’Halluins Wirtschaftsstudium vermutlich wenig verwunderlich. Entsprechend des American Dreams arbeitet sich Marc vom Tellerwäscher zum Millionär hoch, er bewegt sich trotz seiner Herkunft genau wie Alexis selbstbewusst in der Welt der Reichen und der Schönen. Auch deswegen wirken Aussagen wie die folgende recht unreflektiert, leben die beiden Protagonisten doch in Saus und Braus: „Ihre Beziehung wird sein einziger Ehrgeiz sein. Er will keinen Erfolg mehr im Leben haben, sein Leben selbst soll erfolgreich sein.“

Tatsächlich teilt ‚Nacht ohne Morgen‘ (vor allem thematisch) viel mit Hanya Yanagiharas ‚Ein wenig Leben‘ – und deswegen möchte ich am Ende dieser Rezension auch kein klassisches Fazit ziehen. Denn wer (wie ich) bei der bloßen Erwähnung von ‚Ein wenig Leben‘ ein Spontanreferat darüber halten könnte, was seiner*ihrer Meinung nach mit diesem Roman alles nicht stimmt, sollte auch um diesen Text einen Bogen machen. Wer allerdings ‚Ein wenig Leben‘ mit Begeisterung gelesen hat (und ich weiß, dass das die Mehrheit ist), wird auch an ‚Nacht ohne Morgen‘ seine*ihre Freude haben.

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