Andrew McMillan – Physical: Gedichte

Andrew McMillan - Physical: Gedichte

„ist das hier nicht genau so. wie das Beste sein sollte? / den Körper zu dem Punkt führen an dem / er fast zerbricht und dann zurückkehren / dein Vertrauen in die / wundersame Zerbrechlichkeit / des Selbst wiederhergestellt“

Andrew McMillans ‚Physical‘ (aus dem Englischen von Mazlum Nergiz und Richard Stoiber) ist eine Bestandsaufnahme des männlichen Körpers, ein (De)montieren des Körpers zwischen Alltag und Transzendenz. In den drei Teilen oder Akten des Gedichtbandes (‚Körperlich‘, ‚Protest des Körperlichen‘ und ‚Erniedrigung‘) wird der Körper zelebriert und gebrochen, ein Bruch, der sich auf formaler Ebene in den nur scheinbar eigentümlichen Zeilensprüngen der Gedichte wiederfindet. Gebrochen werden muss der Körper, „um etwas Stärkeres zu erschaffen“, gebrochen von Trauer, Gewalt und auch Sex. Der gebrochene Körper wirft die Frage auf, was Männlichkeit überhaupt ist. Was ist „Männlichkeit sonst wenn nicht das Gewicht / eines Jungen zu nehmen und es von sich wegzudrücken?“

Die Sprache der Gedichte ist prosaisch und so sehnig wie die im Fitnessstudio weinenden Männer McMillans, die ihre Körper stählern und Gewichte stemmen, als würden sie den strengen Riten einer antiken Religion folgen. Doch Männlichkeit ist hier auch Performanz, ist Theater. McMillan beschreibt den Körper als Signifikat, aufgeladen mit fremden Hoffnungen und Begierden.

Wie bereits Walt Whitman ist Andrew McMillan ein Poet des Cruisens, der flüchtigen Begegnungen ohne „Namen nennen denn Namen würden eine Geschichte hinzufügen“. In ‚Saturday Night‘, dem Flickengedicht für Thom Gunn (dessen bekanntester Gedichtband vermutlich ‚The Man with Night Sweats‘ ist, in dem er den Tod seiner Freunde durch AIDS verarbeitet), irren die Männer durch labyrinthartige Dark Rooms, eine Struktur, die sich in dem Gedicht selbst wiederfindet. Denn das Gedicht zitiert in jeder vierten Zeile Thom Gunns ‚Saturday Night‘, hervorgehoben durch eine Kursivschreibung der entsprechenden Zeilen. Es ist der Sehsinn, der eine Unterscheidung ermöglicht, so wie es der Tastsinn ist, der in der Dunkelheit der Labyrinthe den einen Körper vom anderen trennt – befinden sich diese doch auch im Dark Room einem Palimpsest gleich über-, unter- und neben- und ineinander.

Über all diesen flüchtigen Begegnungen von Körpern liegt eine gewisse Melancholie. Der Schatten des Vergänglichen liegt über der Gegenwart, die flüchtigen Berührungen werden sich nicht wiederholen, die stählernen Körper werden alt, gebrechlich, zu Staub zerfallen. Andrew McMillan schreibt über den Körper, „der in Abschieden verweilt“. Und doch ist diese Melancholie nicht als Urteil zu verstehen, denn „keine Namen zu kennen macht es nicht etwas Kleinerem / der Streit auf halber Strecke über den roten Pullover und das Fahrrad / macht es nicht zu etwas Größerem“.

Intimität existiert in den Gedichten McMillans jenseits zeitlicher Begrenzungen, er schreibt über einmalige Begegnungen wie auch über Beziehungen. Was diese Intimitäten eint, ist das Körperliche. Ob es der Geschmack der ganzen Nacht im Nacken des Gegenübers ist, der Geruch des „frühen blassgelben Verlust[s]“ am Morgen oder das Geräusch „eines Fließens in die Schüssel“ – McMillan lässt seine Leser*innen die Intimität des Körpers mit allen Sinnen nachempfinden. Dieses Nachempfinden erlaubt eine Gleichzeitig von Widersprüchen, „die Striemen der Flügelschläge“ sind zärtlich und grob.

Andrew McMillans Hymne an den männlichen Körper ‚Physical‘ ist im Original bereits 2015 erschienen. Als erster Gedichtband wurde er im selben Jahr mit dem Guardian First Book Award ausgezeichnet. Nun haben die Gedichte in einer zweisprachigen Ausgabe im stets radikalen Programm des März Verlag ihren Weg auch in den deutschen Sprachraum gefunden.

McMillans Gedichte besingen nicht nur die physische Form, sie scheinen einen eigenen Körper zu besitzen, denn ihre Sprache ist leicht und doch sind es Worte von Gewicht. Aus diesen Zeilen wachsen uns Arme, die wir berührt haben, unseren Händen entgegen, als ob unsere Hände leicht wären. Und wie die Männer in McMillans Gedichten folgt am Ende der Blick in den Spiegel, wo wir uns dabei zuschauen, wie wir uns ausziehen.

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