Robert Arba – Im Privatwald

Robert Arba - Im Privatwald

Der Durchschnittstyp nimmt sich jene Freiheiten heraus, die von der Gesellschaft toleriert werden; jenen Spielraum, der als akzeptabel gilt. Verstellt er sich, um wahrscheinlich Menschen gerecht zu werden, denen er nahesteht, wird er später die Jahre nachholen wollen, die er in der falschen Haut gesteckt hat. Würde stattdessen niemand zusehen, fielen schon am Tag 1 alle Fesseln.

Nach nur drei Monaten Ehe entscheidet sich Onkel Gerold bereits für den nächsten radikalen Schritt: Gemeinsam mit Ehefrau Betty bricht er alle Zelte ab und wandert nach Guatemala aus. Trotz des eingeschlafenen Kontakts hat diese Entscheidung auch Auswirkungen auf das bequeme Leben seines Neffen Mark. Denn dem wird kurzerhand das Blockhaus mit Privatwald überschrieben. Und so erzählt der Debütroman ‚Im Privatwald‘ von Robert Arba von einer Schenkung, der unerwarteten Annäherung alter Freunde und der Frage, was im Leben wirklich zählt.

15 Jahre sind vergangen, seitdem Mark regelmäßig seine Ferien in der Blockhütte des Onkels verbracht hat, der sich kein eigenes Haus in der anliegenden Stadt leisten konnte und der sich dort stattdessen sein eigenes kleines, wenn auch bescheidenes, Paradies errichtet hat. Genauso viel Zeit ist auch vergangen, seitdem Mark Ronny gesehen hat, beide Teil einer kleinen eingeschworenen Gruppe, die sich immer zu den Ferien zusammengefunden hat, die aber spätestens zu dem Zeitpunkt auseinandergebrochen ist, als Ronny nach einem schweren Motorradunfall im Krankenhaus gelandet ist und die anderen in ihrer jugendlichen Unerfahrenheit und Überforderung, dem Freund in seiner Zeit der Not nicht beigestanden haben.

Trotz gleicher Startvoraussetzungen haben sich die Leben der ehemaligen Freunde unterschiedlich entwickelt. Mark hat sich für den Weg der Sicherheit entschieden, sein Leben ist genauso durchschnittlich wie das seiner Mittelstandsfamilie. Er ist so angepasst, dass selbst die eigene Homosexualität und Partner Ricardo kaum etwas daran ändern können. Eine Ausbildung zum Verkäufer von Sanitäranlagen, eine abgeschlossene Lebensversicherung, eine geregelte Vorsorge, der aufgesetzter Bausparvertrag – das Leben dieses Protagonisten steckt in derart festen und vorgefertigten Bahnen, dass er auch mit Anfang 30 wie ein mürrischer Rentner daherkommt – was dem Roman dank seines Ich-Erzählers auch einen ganz eigenen Ton gibt, der sehr gelungen irgendwo zwischen spießig und rotzig pendelt.

Nicht so Ronny. Nach dem der Unfall hat er ein kaputtes Bein vorzuweisen, keine abgeschlossene Ausbildung, keine dauerhafte Beziehung und das gleiche Zimmer in der Wohnung der Eltern aus der Zeit seiner Jugend. Aus der Not hat er sozusagen eine Tugend gemacht und weigert sich, ein angepasstes Leben zu führend, über das man sich im Dort nicht das Maul zerreißt. Wozu die paar guten Jahre, die man im Leben hat, an eine Firma verschwenden, um deren Marke gut aussehen zu lassen, warum nicht mit dem vielen Geld, das sie verdienen, das Leben genießen: „Warum tun sie das nicht? Ich sag dir, warum: Es ist ein Ablenkungsmanöver, um nicht daran zu denken, dass sie sterben müssen.

Als die beiden im Privatwald aufeinandertreffen, bietet ihnen die Blockhütte einen geschützten Raum, um all die Lebensentwürfe durchzuspielen, gegen die sie sich entschieden haben. Sexualität ist in diesem Kontext keine Frage von entweder/oder – oder zumindest nicht nur, denn es ist offensichtlich, dass Marks scheinbar einzig und allein darauf gerichtete Kräfte, sich anzupassen, auch auf seine Sexualität zurückzuführen sind – sondern etwas Fluides, etwas dessen Grenzen ohne große Aufregung ausgetestet können. Und auch für Mark bedeutet die Begegnung einen Wendepunkt und das nicht nur weil seine Beziehung bereits vor der Begegnung mit Ronny zu scheitern drohte. Wie es so oft mit aufeinandertreffenden Extremen ist, nähern sie sich einander an und Mark muss erkennen, dass sein Glück vielleicht doch nicht im Anhäufen von Besitztümern und der bedingungslosen Sicherheit liegen.

Nun könnte man gut und gerne meinen, dass sich niemand für die Befindlichkeiten und Selbstzweifel von Wohlstandsbürgern interessiert. Auch mit Personen, die ihre Arbeitslosigkeit über ihre gut situierten Eltern finanzieren, hält sich das Mitleid im Allgemeinen vermutlich in Grenzen. Doch auch wenn Robert Arbas ‚Im Privatwald‘ von ernsten Themen erzählt, nimmt sich diese Erzählung glücklicherweise nicht allzu ernst und stellt zwei Protagonisten in ihr Zentrum, die vielleicht nicht immer sympathisch, dafür aber umso menschlicher sind. ‚Im Privatwald‘ wird von Durchschnittstypen bevölkert, denen die meisten von uns wahrscheinlich mehr ähneln, als wir uns selbst gegenüber eingestehen mögen, und deren Ringen, sich von den Erwartungen der Umwelt zu befreien, uns bekannt vorkommen sollte. Und wahrscheinlich gleicht dieser Roman auch deswegen oft dem unliebsamen Blick in den Spiegel. Was wir an anderen kritisieren, sind in der Regel die Dinge, die wir an uns selbst nicht mögen. Und ich glaube, es fällt leicht, dem Text und seinen Figuren, diese Vorwürfe zu machen. Wie gut aber, dass es solch kurzweiligen und unterhaltsamen Texte gibt, die uns unter anderem auch daran erinnern, dass wir zwar nicht alle Sanitäranlagen verkaufen, sie aber allesamt aufsuchen müssen.

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