„Adam bleibt sitzen, wie er sitzt. Die Majestät der Natur, die keiner verlogenen Machtinsignien bedarf: Vielleicht sollte der König ebenfalls nackt sein, vorausgesetzt er hätte einen Körper wie Adam. Das wäre dann Des Kaisers neue Kleider in einer Art Neufassung, in der das ganze Land sich dessen erfreut, Seine Majestät in nackter Noblesse durch die Straßen gehen zu sehen. Und jedermann würde einsehen, dass es immer so sein sollte, und dass es in Wahrheit die Bekleideten sind, die etwas zu verbergen haben.“
Adam im Paradies von Rakel Haslund-Gjerrild (aus den Dänischen von Andreas Donat) ist ein Spiel der Masken, ein Kostümball, ein Spiegellabyrinth. Der Roman ist klassisch und modern zugleich: Klassisch weil er sich wie die schwule Literatur vergangener Zeiten mit den unterschiedlichsten Maskierungsstrategien operiert, modern weil er eine fiktive Autobiographie des dänischen Künstlers Kristian Zahrtmann (1843–1917) ist. Das ist so modern, dass es im deutschen Sprachraum noch keinen gängigen Begriff dafür gibt. ‚Exofiction‘ heißt es im französischen und angelsächsischen Sprachraum, die fiktive Inszenierung einer historischen Person, verkleidet als Autobiographie.
Im Zentrum des Romans steht Zahrtmanns Spätwerk ‚Adam langweilt sich im Garten des Paradieses‘. Ausgehend von der Entstehung dieses Bildes durchwandert Haslund-Gjerrilds Zahrtmann die Stationen seines Lebens und erzählt eine Geschichte über Kunst, Begehren und Schönheit im Angesicht einer oft hässlichen Welt.
Zahrtmanns Werke strukturieren das Werk, sie leihen den Kapiteln des Romans ihre Namen, in ihnen zeichnet Haslund-Gjerrild mit Worten ein Portrait des Künstlers. Zwischen den einzelnen Kapiteln sind dokumentarische Einschübe eingefügt: Zeitungsartikel, Postkarten, Briefe, Auszüge aus dem bürgerlichen Strafrecht und Vernehmungsprotokolle. Parallel zum Portrait des Künstlers zeichnen diese Dokumente ein Gesellschaftsportrait rund um den Sittlichkeitsprozess von 1906/07, in dem mehrere homosexuelle Männer strafrechtlich verfolgt wurden. Unter ihnen der Schriftsteller Hermann Bang.
Adam im Paradies strotz vor Gegensatzpaaren und Spannungsverhältnissen. Sie stellen ein Spiel zwischen Fakt und Fiktion dar, ein Spiel, das bereits Virginia Woolf und Wolfgang Hildesheimer in ihren fiktiven Biografien Orlando und Marbot mit ihren Leser*innen gespielt haben.
Die Dokumente widersprechen teilweise aber auch den Schilderungen des fiktiven Zahrtmanns, ganz im Sinne eines zu Beginn des Romans zitierten Zeitungsartikels zum titelgebenden Werk ‚Adam langweilt sich im Garten des Paradieses‘: „Der schelmische Meister gibt keine Antwort. Des Rätsels Lösung zu finden, obliegt dem Betrachter selbst. Wer mag, kann es ja versuchen.“ Denn auch dieses Spiel ist eine Spiegelung, ist es doch Gjerrild-Haslund, die hier für Zahrtmann spricht und sich hinter ihm versteckt.
Vor allem das Thema Homosexualität beziehungsweise Queerness tritt in diesem Spannungsverhältnis für Leser*innen offen zu tage. Ob Zahrtmann selbst homosexuell oder queer war, ist nicht eindeutig bewiesen, wenn auch vieles dafürspricht. Denn Zahrtmanns Schweigen (im Roman wie in der Realität) steht konträr zu den Ereignissen rund um die Sittlichkeitsprozesse, die zeitgleich in Dänemark geschehen. Doch schweigt Zahrtmann wirklich? Hat er nicht in seinen Bildern seine eigene Queerness zum Ausdruck gebracht?
Das zeigen zumindest zahlreiche der Werke, die den Roman strukturieren: In seinem Werk ‚Sokrates und Alkibiades‘ (in dem man in Sokrates nur unschwer Zahrtmann wiedererkennen kann) verwendet der Künstler den wohl bekanntesten Trick homosexueller Künstler, indem er auf die griechische Antike rekurriert und sich hinter dem pädagogischen Eros versteckt. Weitaus innovativer zeigt er sich mit einem klassischen Motiv der Kunstgeschichte ‚Susanna im Bade‘, hier tauscht er die titelgebende Susanna gegen einen nackten Jüngling aus, den man als solchen nicht sofort erkennt. Queerness ist, bezogen auf die Kunst von Zahrtmann, als mehr zu verstehen als Schirmbegriff für Homosexualität, der aufgrund der zeitlichen Distanz und der ‚mangelnden Beweise‘ notgedrungen irgendwie schwammig bleiben muss. Queerness ist in dieser Hinsicht auch als etwas zu verstehen, was gesellschaftliche und geschlechtliche Normen auf den Kopf stellt. ‚Die Milchprobe‘, welche sicherstellen sollte, dass keine unverheiratete Frau ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat, ist dafür vermutlich das beste Beispiel. Zahrtmann queert die misogyne Tradition Frederik II.: Die Frauen stehen im Zentrum des Geschehens, sie sind sichtlich vergnügt, sind unter sich, die Männer geraten in den Hintergrund.
Formal wie stilistisch findet Rakel Haslund-Gjerrild Wege, um den verdeckten Begehren Zartmanns Ausdruck zu verleihen. Die Sprache, die sie Zahrtmann in den Mund legt (und die von Andreas Donat so großartig ins Deutsche übersetzt wurde), ist eine überbordende, barocke Sprache. Eine Sprache, die alle Sinne anspricht und das unterdrückte Begehren in die Sphäre des Alltags rückt – wie das „arbeitslüsterne Summen, das aus dem Garten zu mir hereindringt, da all meine Sonnenblumen sich zu voller Blüte geöffnet haben und mit ihren Staubblätterzungen benommen nach den Bienen lecken.“
Die Sehnsucht liegt im Blick Zahrtmanns, der das entstehende Kunstwerk erarbeitet. Kunst, Sprache und Eros meinen hier ein und dasselbe.
Auch in den intertextuellen Verweisen auf Herman Bang (der aus seiner Sexualität kein Geheimnis gemacht hat) wird das Thema Homosexualität versprachlicht. Dessen Künstlerroman Michael (erschienen beim Männerschwarm Verlag, in der Bibliothek Rosa Winkel) weist übrigens ein paar interessante Parallelen zu den Ereignissen in Adam im Paradies auf. In diesem Kontext muss auch unbedingt Hans Christian Andersen genannt werden, dessen Werk für viele moderne Forscher*innen auch Ausdruck eines unterdrückten homoerotischen Begehrens ist.
Zum einem findet Andersen (in der eingangs zitierten Szene) direkte Erwähnung im Roman, zum anderen wird, wie mir scheint, an anderer Stelle auf sein Kunstmärchen ‚Der Schatten‘ angespielt. Aber auch Zahrtmanns Scham bezüglich seiner selbst empfundenen Hässlichkeit scheint sich auf den dänischen Märchenerzähler zu beziehen, der von seinen Zeitgenoss*innen alles andere als nett umschrieben wurde. Ein Umstand, der das Märchen ‚Das hässliche Entlein‘ inspiriert haben soll. Adam im Paradies und Zahrtmann stellen diesbezüglich genauso Konventionen auf den Kopf wie sie ihnen entsprechen. Der Roman stellt die Hässlichkeit der Welt dem Zahrtmann’schen Verständnis einer farbenprächtigen Schönheit gegenüber, die gesellschaftliche Normen sprengt, sprich queer ist.
In diesem Sinne ist Adam im Paradies nicht nur ein Buch über Kunst und Homosexualität, sondern auch über das Älterwerden, über das Streben nach Schönheit, über Einsamkeit und über das, was ein Leben an dessen Ende ausmacht. All diese Themen laufen zusammen, überschneiden sich. Das Älterwerden, Hässlichkeit und das Sterben nach Schönheit, die Kunst und das Spiel der Maskerade:
„Noch haben die Leute nicht durchschaut, dass die Orangen auf der Kommode im Entrée und die Kisten, die gefüllt mit diesen süßen Sonnen in der Speisekammer stehen, ein Teil meines Zauberkunststücks sind: dass ich ihnen zum Abschied eine Orange reiche, weil ich möchte, dass sie auf dem Heimweg mehr an die Orange denken als an mich mit meiner Hängehaut und meinen Leberflecken, dass ich mich auf diese Weise verwandle und schließlich mehr bin als dieser langweilige alte Körper, denn nun bin ich groß und gelb wie die Sonne. Welch ein Glück, dass ich nicht nur ich bin. Dass ich zur Orange geworden bin.“
Dass dieses Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen so mühelos wirkt, ist Beweis dafür, dass Haslund-Gjerrild eine Autorin ist, die ihr Werk versteht. Voller Erstaunen verfolgt man diese Konstruktion, ohne dass der Roman je überkonstruiert wirkt. Auch im Angesicht des Formalen bewahrt der Roman stets seine Menschlichkeit.
Adam im Paradies ist ein Roman voller doppelter Böden, ein formal wie sprachlich faszinierendes Portrait eines Künstlers, ein Buch über Begehren, Sehnsucht, Kunst, Sinnlichkeit und Schönheit. Doch all dies sind nur viele Worte eines schelmischen Rezensenten. Des Rätsels Lösung obliegt den Lesenden zu lösen. Wer mag, kann es ja versuchen.