Love in the Big City von Sang Young Park (aus dem Koreanischen von Jan Henrik Dirks) erzählt vordergründig keine Geschichte, sondern vielmehr von einem Gefühl. Die vier Teile des Romans, die lose miteinander in Verbindung stehen, erzählen von der unendlichen Freiheit, die damit einhergeht, jung zu sein, und davon was es bedeutet, im modernen Korea queer zu sein.
Wir begleiten Young, einen jungen aufstrebenden Autor (die Ähnlichkeiten zwischen Autor und Figur müssen an dieser Stelle vermutlich nicht extra Erwähnung finden) an die Universität, in die queeren Clubs von Seoul, auf Dates mit unterschiedlichen Männern und auf Sauftouren mit seiner besten Freundin Jaehee. Love in the Big City ist ein Roman über die Zeit in unserem Leben, die von Brüchen geprägt ist und in denen unsere Beziehungen intensiv, aber auch kurz sind. Auch deswegen verwehrt sich der Roman einem einheitlichen und stringentem Narrativ. Und ein Merkmal queerer Literatur ist das sowieso.
Der Roman ist aber ein Portrait einer Generation, die sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne bewegt, und deren Beziehungen vom Kapitalismus geprägt sind. Youngs Mutter ist von Beruf eine Art Kupplerin, die anhand von sozioökonomischen Aspekten jungen Menschen dabei hilft, eine gute Partie zu landen. Young kann und will sich diesem System nicht unterwerfen. Daran ändert auch nichts der Versuch der Mutter, ihn mit einer Therapie von seiner Homosexualität heilen zu lassen.
Besonders spannend ist auch, wie der Text mit Tabuthemen umgeht. Denn Young ist HIV-positiv, doch der Begriff findet im Roman kein einziges Mal Erwähnung. Young tauft seine Krankheit „Kylie“, nach seiner Lieblingssängerin. Wenn er schon sein gesamtes Leben mit dieser Krankheit verbringen muss, möchte er sie mit etwas Schönem assoziieren. Und in diesem Sinne ist Love in the Big City auch ein Roman darüber, was es bedeutet, mit HIV zu leben und nicht, was es bedeutet, daran zu sterben. Das ist trotz der modernen und vielfachen Therapiemöglichkeiten auch in der modernen queeren Literatur eine Ausnahmeerscheinung. Auch PrEP thematisiert der Roman, eine Pille, welche das Sexualverhalten vieler schwuler Männer in den vergangenen Jahren verändert hat, in den meisten englisch- und deutschsprachigen queeren Texten bisher aber kaum Erwähnung findet.
Über Love in the Big City zu sprechen, bedeutet aber auch die Nominierung für den International Booker Prize zu erwähnen – und die eher verhaltene Rezeption im deutschsprachigen Raum. Diese unterschiedliche Wahrnehmung hat einen einfachen Grund: die Qualität der Übersetzung.
Ein direkter Vergleich mit der englischen Übersetzung zeigt sowohl subtile als auch gravierende Unterschiede vom Ton als auch vom Rhythmus und Inhalt. Die deutsche Übersetzung liest sich stellenweise kaum wie eine Übersetzung, sondern vielmehr wie eine geschmacklose und alberne Adaption der Öffentlich-Rechtlichen. So beschreibt Young das Verhalten seiner Freundin in der deutschen Übersetzung an einer Stelle als „ätzend“, in der englischen als „grotesk“. Diese feinen Unterschiede mögen auf den ersten Blick nicht viel hermachen, doch in der Masse bedeuten sie, dass sich der Text vollkommen anders präsentiert. Die Unterschiede in der Übersetzung reichen von verwunderlich („Ich betrat die ‚Emerald Hall‘ im zweiten Stock des Hotels.“ / „I took the elevator to the third floor of the hotel and went into the Emerald Hall.”) bishin zu schlichtweg ärgerlich („Wir waren damals beide neunzehn Jahre alt und es war Sommer gewesen, als Jaehee und ich einander unerwarteterweise nähergekommen waren.“ / „The summer we turned twenty, Jaehee and I became best friends.“).
Je mehr ich die beiden Texte miteinander verglichen habe, desto mehr habe ich mich über die deutsche Übersetzung geärgert. Denn Sang Young Park hat einen guten Text geschrieben – auf Deutsch ist davon aber nicht viel übrig. Das ist umso ärgerlicher, weil gute queere Literatur aus nicht-englischsprachigen Ländern noch immer kaum übersetzt wird.
So sehr ich mir auch für die Zukunft deutsche Übersetzungen wünsche, um queere Literatur einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, Love in the Big City ist in der deutschen Übersetzung kaum zu empfehlen.
1 Kommentar zu „Sang Young Park – Love in the Big City“
Hallihallo, hier ist der Übersetzer.
Mannomann … „Alberne Adaption der Öffentlich-Rechtlichen?“ Was meinen Sie denn damit?
Also nur ganz kurz, wenn man hier schon Kommentare verfassen darf:
Englisch ist irgendwie cooler, schon klar. Beim Titel des Buches ist man Menschen von Welt wie Ihnen, die Englisch beherrschen, deshalb ja auch extra entgegengekommen.
Trotzdem: Schon mal auf die Idee gekommen, dass es vielleicht die englische Übersetzung ist, die falsch sein könnte?
Wenn Sie alles sorgfältig mit dem Koreanischen abgeglichen haben, wovon ich nach Ihrer fundierten Kritik ausgehe, werden Sie sicher auch wissen, welche der Zahlenangaben, über die Sie sich offenbar am meisten echauffieren – und die den Text literarisch natürlich komplett verhunzen – stimmen und welche nicht, gell? Und sicher wissen Sie als Experte der koreanischen Kultur auch, wie es zu den unterschiedlichen Zahlenangaben in den beiden Übersetzungen kommt, nicht wahr?
Aber im Ernst: Wenn das die Stellen sind, die Sie am abscheulichsten fanden, muss ich mir, glaube ich, keine Sorgen machen. Puuuhhhh …
Beste Grüße
Der Übersetzer