Philippe Besson – Hör auf zu lügen

Philippe Besson - Hör auf zu lügen

Nachdem sich auch wirklich jeder auf Social Media zu Hör auf zu lügen von Philippe Besson geäußert hat, melde auch ich mich, mit einigen Monaten Verspätung, zu Wort. Aber kann man überhaupt noch etwas Neues zu diesem Buch sagen? Angefangen beim hässlichen Cover (Sorry!), über den Inhalt, bis hin zum autofiktionalen Charakter des Werkes wurde ja alles ausdiskutiert. Aber versuchen wir es doch trotzdem mal.

In dem Buch schreibt Phillipe Besson über seine erste große Liebe Thomas, die er mit 17 Jahren kennen gelernt und die sein Schreiben maßgeblich geprägt hat. Hör auf zu lügen ist die erste direkte Auseinandersetzung – in versteckten Anspielungen sowie unterbewussten Motiven und Themen geistert Thomas durch all seine Werke. Aufgewachsen in einer französischen Kleinstadt in den 80ern muss die Liebe der beiden Jungen ein Geheimnis bleiben. Weil Thomas es so will. Das Erbbauerntum gibt es zwar nicht mehr, trotzdem wird von ihm erwartet, dass er den Hof des Vaters übernimmt und, natürlich, heiratet und mit seiner Frau einen Erben hervorbringt, der später den Hof weiterführt. Ein Kreislauf, aus dem es kein Entkommen gibt.

Der Roman wurde oftmals mit Call Me by Your Name oder auch Brokeback Mountain in der französischen Provence verglichen. Diese Vergleiche sind meiner Meinung nach naiv, oberflächlich und – je nachdem aus welcher Ecke sie kommen – auch leicht homophob. Der Vergleich ist deswegen so leicht, weil, wenn die schwule Liebe zum Scheitern verurteilt ist, sich Vergleiche ja immer anbieten. Dabei fehlt Hör auf zu lügen – ganz bewusst – die traumgleiche Atmosphäre von Call Me by Your Name. Philippe und Thomas stammen nicht wie Elio und Oliver aus den gleichen, besser gestellten Kreisen. Thomas ist der Sohn eines Bauern, Philippes Vater ist Schuldirektor und somit bewegen sich die bereits feststehenden Lebenswege der beiden in grundverschiedene Richtungen. Gerade wegen dieser Ungleichgleit, dieser spezifischen Klassenunterschiede bietet sich ein Vergleich zum Schreiben von Édouard Louis viel eher an. Hör auf zu lügen erinnert an vielen Stellen – Besson nennt ihn auch im Roman als ein Vorbild – aber auch an die gnadenlos bloßlegende Sprache von Hervé Guibert.

Ähnlich wie Guibert präsentiert Besson die Geschichte als einen Roman, beteuert gleichzeitig aber immer wieder ihre Wahrhaftigkeit. Vielleicht auch weil er wie Guibert zu einer Art Verräter wird und das gemeinsame Geheimnis in die Welt hinausträgt. Allerdings wirkt Bessons sezierende Sprache hin und wieder aufgesetzt und es sind die eher seltenen Momente, in denen er schnörkellos und geradeheraus erzählt, in denen die Emotionen der Geschichte mitreißen können.

Hör auf zu lügen ist vom Inhalt her – und das ist an sich nichts Schlechtes – eine für die schwule Literatur typische Coming of Age Geschichte. Was den Roman darüber hinaushebt, ist die Frage, ob der Versuch eines literarischen Exorzismus gelungen ist und ob Besson sich in seinen kommenden Werken weiter um sich selbst dreht oder es schafft, sich neuen Themen zu widmen.

Facebook
Twitter
LinkedIn

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert