Gegenwart und nahe Zukunft, Utopien zwischen apokalyptischen Szenarien. Fünf Geschichte, in denen das Groteske, das Brutale und auch das Sinnliche einbrechen und jegliche Grenzen gesprengt werden. Jonas Eikas Nach der Sonne ist vor allem eins: queer as fuck.
Ein Mann kehrt in seine Heimatstadt Kopenhagen zurück, nur um festzustellen, dass die Bank, für die er arbeitet, in einem riesigen Krater verschwunden ist. Der junge Alvin nimmt ihn bei sich auf – und bringt ihm – und auch den Leser*innen – etwas über die Regeln des Kapitalismus und Derivate bei. Ein altes Ehepaar lässt sich nach dem Tod seiner Töchter in Rachel, Nevada nieder, wo die Menschen an die Ankunft von Aliens glauben. Einer der beiden macht in der Wüste eine Entdeckung und geht eine Verbindung ein. In den Trümmern von London liegen Fabriken, die City-Kirche und eine Entzugsklinik beieinander. Hier findet ein junges obdachloses Mädchen Unterschlupf bei einem Paar. Und am Strand von Cancún bedienen gefügige Boys Touristen und schmieren ihre Körper mit Nachsonne ein, denn hier am Strand wird etwas passieren.
Der dänische Schriftsteller und Aktivist Jonas Eika ist der jüngste Preisträger des Literaturpreises des Nordischen Rates. Nun liegt beim Hanser Verlag seine Kurzgeschichtensammlung Nach der Sonne, übersetzt von Ursel Allenstein, auf Deutsch vor. Das Buch mag mit seinen 160 Seiten schmal daherkommen, fühlt sich aber wie ein nicht enden wollender Mindfuck an.
„Sie hatte in ihrer Beziehung immer ruhig und furchtlos gewirkt, als wäre ihr Bedürfnis nach dem Ichsein nicht so groß, dass es von der Zweisamkeit gedemütigt werden konnte.“
Was die so unterschiedlichen, das Globale erstreckende, Geschichten eint, sind ihre Themen: Kapitalismus, Ausbeutung und Unterwerfung, Einsamkeit und das Verlangen, eine Verbindung einzugehen. Eikas Figuren überschreiten die Grenzen der Geschlechter und der Trennung zwischen Mensch und Maschine und Tier. Alte Ritual lösen sich auf und werden von einem queeren Blutkult ersetzt. Und wer sich unterwirf, kann genauso gut aufbegehren und monströse Züge entwickeln.
Eikas Sprache ist von Kriker*innen mit dem Prädikat präzise ausgezeichnet worden. In genau diese Präzision tritt das Groteske immer wieder in Bildern in Erscheinung, von denen man als Leser*in trotzdem nicht weiß, ob es sich um Metaphern oder Hyperbeln handelt oder ob man sie beim Wort nehmen soll. Auch der Zustand der Welt, in denen die Apokalypse oft bereits stattgefunden haben mag, bleibt ungeklärt. Das ist beunruhigender als jegliche Erklärung in einer Welt wie der unseren, in der an allen Fronten der Untergang lauern könnte.
„Die Transformation erforderte, dass er sich von sich selbst distanzierte, seinen Körper nicht weiter beachtete.“
Es sind brutale und verstörende Bilder, welche Eika zeichnet. Zugleich mutet ihnen aber auch etwas radikal Zärtliches und Sinnliches an. Vielleicht wurde das Buch auch wegen dieses scheinbaren Zwiespaltes für seine Unparteilichkeit gelobt. Oder müsste es kritisiert heißen? Womöglich geht es aber – wie so oft in guter Literatur – um mehr als das. Vielleicht sind Jonas Eikas Texte gleichzeitig eine Anklage an eine kapitalistische Welt, in der wie unser Menschsein immer mehr verlieren, und auch ein Aufzeigen von queeren Lebensentwürfen und des neuen, Grenzen überschreitenden Menschens, wie ihn sich schon Donna Haraway in A Cyborg Manifesto vorgestellt hat. Denn der Eintritt in neue unbekannte Welten geht immer mit Hoffnung und Verzweiflung einher.