Klaus Mann – Der fromme Tanz

Klaus Mann - Der fromme Tanz

Der fromme Tanz oder auch ‚Das Abenteuerbuch einer Jugend‘ ist der verzweifelte Versuch der desillusionierten Nachkriegsgeneration, ‚das Große‘ zu schaffen, die Welt zu formen und in etwas Besseres zu verwandeln. Denn Klaus Mann schreibt hier nicht nur über seine individuellen Erfahrungen, ein Buch, „das aus unserer Jugend kommt, von unserer Jugend handelt, und nichts sein, nichts bedeuten möchte als Ausdruck, Darstellung und Geständnis dieser Jugend, ihrer Not, ihrer Verwirrung—und ihrer hohen Hoffnung vielleicht.“ Es ist auch – der etwas hoch gegriffene – Versuch, für eine ganze Generation zu sprechen. Trotzdem hat Klaus Mann mit gerade einmal 19 geschafft, was sein Vater Thomas Mann Zeit seines Lebens nicht konnte: sich in der Öffentlichkeit zu seiner Homosexualität bekennen.

Es sind die goldenen 20er: Andreas Magnus, gerade einmal 18 Jahre alt, stammt aus einer gut bürgerlichen Familie, einem Milieu, das sich auf seinen Errungenschaften ausruht. Jeglicher Versuch gegen diese Strukturen aufzubegehren, ist zum Scheitern verurteilt und so flüchtet Andreas kurzerhand nach Berlin. Er landet in der Pension Meyerstein, in der lauter exzentrische Figuren ihr Dasein fristen. Fräulein Franziska verschafft ihm einen Job im Kabarett und es dauert nicht lang, bis der Jungspund Teil der Bohème wird und nach seinen Auftritten ältere Herrschaften in Empfang nimmt. Aber seine Reifeprüfung erfährt Andreas erst in Form von Niels, dessen Charme nur von seiner Rücksichtslosigkeit übertroffen wird…  

Als Klaus Manns Debütroman 1925 erscheint, ist für die Leser und Kritiker nur unschwer zu erkennen, dass die im Text dargestellten Ereignisse stark autobiographisch geprägt sind. Der Skandal war vorprogrammiert. So mancher Kritiker hat den Vorwurf geäußert, dass dem Buch aufgrund der Nähe zu Thomas Mann ein gewisser Erfolg vorprogrammiert war – was mit Sicherheit nicht unwahr ist. Ebenso wenig begeistert war man von der Darstellung von (weiblicher als auch männlicher) Homosexualität. Für heutige Leser mag das alles sehr zahm wirken, aber es ist für die Zeit schon erstaunlich, dass sich im gesamten Text niemand zu rechtfertigen versucht. Andreas Magnus ist Teil einer Welt, die sich selbst feiert. Und Homosexualität ist ein fester Bestandteil eben jener. Erwähnenswert sind auch die Autoren, die Andreas liest: Sie alle sind Klassiker der schwulen Literatur. Es ist erstaunlich, wie schnell ein paar Ikonen innerhalb weniger Jahre so etwas wie eine schwule kollektive Identität ermöglicht haben.

Beinahe prophetisch wirkt der Text, wenn Andreas den Untergang dieser Welt vorhersieht: „Wohin dies alles führen soll, dieser große Tanz, wissen wir wohl am wenigsten. Ich fürchte zu einer geistig-menschlichen Gemeinschaft und zur idealen Republik am wenigsten. Wir dürfen über die Lösung der Unruhe nicht Bescheid wissen, vielleicht ist diese Lösung ja auch einfach der Abgrund, die Apokalypse, ein neuer Krieg, ein Selbstmord der Menschheit.“

Aber nicht nur die Kritiker waren wenig angetan, von diesem freien und offenen Umgang mit dem Tabuthema. Thomas Mann hat kurz nach der Veröffentlichung von Der fromme Tanz seinen Aufsatz Über die Ehe geschrieben und veröffentlicht. Trotz seiner gleichgeschlechtlichen Neigungen war der werte Herr Vater davon überzeugt, dass Homosexualität ein Makel sei.

Schwerwiegender ist der Vorwurf gegen Klaus Mann, sich zum Sprechrohr einer Generation zu ernennen, deren Probleme er nicht kennen kann. In bürgerliche Verhältnisse hineingeboren, kannte er nicht die extreme Armut, die für einen Großteil der Jugend eine Lebensrealität darstellte, eine Lebensrealität, in der für Kunst und ‚das Große‘ nur wenig Platz war. Das scheint auch Mann begriffen zu haben, der im Laufe der Jahre immer politischer wurde und gemeinsam mit seiner Schwester Erika Mann, den Vater dazu gedrängt hat, sich öffentlich gegen den Nationalsozialismus auszusprechen. Manns Kunst wurde Jahre später nicht nur von den Nationalsozialisten verbrannt, er selbst glaubte immer weniger an ihre Kraft. 1949 wählte er den Freitod.

Der fromme Tanz ist im besten Sinne ein Debütroman. Stilistisch mag er nicht ausgereift sein, aber man kommt nicht umhin, das Potential des jungen Schriftstellers zu erkennen. Und ganz ehrlich, wie schlecht kann ein Roman sein, in dem so großartige Sätze vorkommen wie „Die Transvestiten begannen Streit“ und „Aber ihre größten Triumphe feierte sie im Schlafzimmer“? Kurzum: Ich habe Der fromme Tanz mit großem Vergnügen gelesen.

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