Guillaume Dustan – The Works Volume I

Guillaume Dustan - The Works of Guillaume Dustan Volume I

Sex is the main focus. Everything revolves around it: the clothes, the short hair, the nice body, the sex toys, the drugs you take, the alcohol you drink, the stuff you read, the stuff you eat, you can’t be too stuffed when you go out or else you won’t be able to fuck. You’ll rarely go home alone as long as you’re persistent, and not too depressed. If you don’t tell yourself that you’ve already had all the guys worth having in there. Or all the ones you know you can’t get. But often you can get the ones you thought you couldn’t. That’s progress.

The Works Volume I’ von Guillaume Dustan (1995-2005) umfasst seine ersten drei Romane, die zusammen eine autofiktionale Trilogie bilden: ‚In My Room’ (1996), ‘I’m Going Out Tonight’ (1997) und ‘Stronger Than Me’ (1998) (aus dem Französischen ins Englische von Daniel Maroun). Sie erzählen von Sex, Drogen, der Suche nach Liebe, Clubs, AIDS, House Musik und noch mehr Sex.

He tells me after we finish that he is beginning to understand what fucking is all about. I tell him that out of the thousands of men I’ve fucked, there are maybe four or five, OK a dozen really, who know how to do what he just did to me. There is also Chad Douglas, but it’s only on VHS. In fact, he’s listed in the credits of one of the ones I bought two days ago. Remote Control. I just hope he isn’t dead in real life.

Wie schon Virginia Woolf in ‚A Room of One’s Own’ proklamiert hat, ist es unabdingbar, ein eigenes Zimmer zu besitzen. Für Guillaume Dustan geht es dabei allerdings weniger um die Freiheit zu schreiben als um die Freiheit Sex zu haben. Und doch lassen sich diese zwei Tätigkeiten konsequenterweise miteinander vergleichen wie Thomas Clerc in seinem Vorwort zu ‚In My Room‘ schreibt. Denn das Schlafzimmer, welches der Dreh- und Angelpunkt von Dustans Erstlingswerk ist, ist wie auch die Autobiographie ein Ort der Geheimnisse und der Intimität. Auch hier ist das Private politisch.

Auf den ersten Blick mag ‚In My Room‘ einer stumpfen Aneinanderreihung pornographischer Szenen gleichen, doch erzählt der Roman vorrangig von der Suche nach Liebe, einer Liebe, wie Dirk Naguschewski schreibt, „deren Intensität die ausschließlich auf hedonistischer Triebbefriedigung ausgerichtete Existenz des Erzählers transzendieren und der Sinnstiftung dienen soll.

I had never seen something like that. All these people, hundreds and hundreds of guys dancing, in the back there were dozens, beef, shirtless or wearing white tank tops, like wallpaper. I thought – This is Dante’s Inferno, and I rushed in.

I’m Going Out Tonight’ verschiebt den Fokus vom Schlafzimmer auf das Clubleben. Der gesamte Roman spielt sich in einer einzigen Nacht ab, in der die Grenzen zwischen Inferno, Purgatorio und Paradiso fließend sind. Dustan entwirft den Club als utopischen Raum frei von Verfolgung und Homophobie, ein Ort, der von einer Demokratie des Begehrens beherrscht wird. Und doch gleichen die sich immer wieder gleich abspielenden Szenen im Club den 500 Jahre andauernden Strafen auf dem Läuterungsberg, während unter dem Einfluss von Drogen Dustans Erzähler der Hölle gefährlich nahe kommt und Erinnerungen an verflossene Liebschaften und an AIDS verstorbene Freunde in die Nacht einbrechen.

He was strong. He was free. He had a motorcycle. Things to teach me. I decided to have him. It was easy seducing someone. Christophe, for example. Franck, Frédéric. I always achieved my goals.

Der Abschluss der Trilogie ‘Stronger Than Me‘ beschreibt Dustans Lehrjahre der Sexualität. Das Herzstück des Romans bildet eine Hardcore SM-Szene, aufgrund derer dieser auch oft als ein Text über SM-Praktiken klassifiziert wird. Vielmehr, so scheint es mir, erzählt Dustan aber über sexuelle Grenzerfahrungen im Allgemeinen, beschreibt er doch ebenso detailreich gesellschaftlich tabuisierte Sexualpraktiken wie Dildospiele und Fisting. Zuletzt hat auch McKenzie Wark in ‚Reverse Cowgirl‘ (die sich auch explizit auf Dustan bezieht) diese Art der Grenzerfahrungen als Form der Suche nach Subjektivität beschrieben. Beachtet man, dass auch Dustan aus der Ich-Perspektive schreibt und das „Ich“ in allen drei Romantiteln eine bedeutende Rolle einnimmt, sollte klar sein, dass auch er u.a. ein ähnliches Anliegen verfolgt.

Guillaume Dustan stammt aus bürgerlichen Verhältnissen. Bevor er sich dem Schreiben zuwandte, war er als Verwaltungsrichter tätig. Später schrieb er für ein Szenemagazin und wohnte in Marais, einem Schwulenviertel, welches auch der Schauplatz der Exzesse seiner drei ersten Romane ist. Zur Entstehungszeit der Romane war es in Frankreich alles andere als typisch die eigene Sexualität zum Fokus der eigenen Identität zu erklären – widerspricht das doch dem Leitspruch der französischen Nation „Liberté, égalité, fraternité“. Ohne diesen Kontext ließe sich Dustans Text aus heutiger Perspektive vermutlich nur noch schwer verstehen.

Dustans Darstellung von Sexualität muss als Anschreiben gegen bürgerliche Normen verstanden werden. Wenn er protokolliert mit welchen Männern er schläft, wie groß ihre Schwänze sind, welche Drogen sie konsumieren, welche Spielzeuge sie verwenden, welche Fetischoutfits dabei zum Einsatz kommen und welche Lieder der Szene als Soundtrack dienen, dann geschieht das auch in der Absicht, Homosexualität nicht vom Sexuellen zu trennen, auch weil Dustan nicht daran interessiert ist, eine einfach zu konsumierende und saubere Subkultur zu präsentieren.

Thomas Clerc vergleicht die oft kurzen Szenen mit Polaroids, doch dafür bewegt sich zu viel in ihnen. Sie erinnern mehr, auch wenn der Vergleich natürlich anachronistisch ist, an ein GIF aus der Zeit als tumblr der Ort schlechthin war für gay porn. Denn genau wie diese GIFs rekurrieren die Szenen in Dustans frühen Texten immer wieder auf ihren Ausgangspunkt: Sex.

Dustan, der selbst HIV-positiv war, führt das Thema HIV und AIDS beinahe wie eine Nebensächlichkeit in den Text ein. Für ihn und seine schwulen Freunde und Bekannten ist AIDS zu einer Alltäglichkeit geworden: „ He says You know, nobody uses condoms anymore, not even the Americans, everybody’s HIV-positive now, I don’t know anyone who is negative (me neither, come to think of it, apart from Quentin. His last test was six months ago I believe), and you know me, I go right ahead and swallow come.

1996, als ‘In My Room’ erschien, machte eine Kombinationstherapie ein Leben mit HIV und AIDS möglich, sodass eine Infektion nicht mehr gleichbedeutend mit einem Todesurteil war. Trotzdem wurde HIV-positiven Männern davon abgeraten, ohne Kondom miteinander zu schlafen – man fürchtete eine Neuinfizierung (eine Furcht, die sich mittlerweile als haltlos erwiesen hat). Wenn Dustan eins seiner Kapitel ‚People Are Still Having Sex‘ betitelt (das Kapitel hat auch im französischen Original einen englischen Titel) dann ist das durchaus als eine politische Aussage zu verstehen. Das heißt nicht, dass Dustan nicht über die Scham mit HIV zu leben schreibt, oder dass er nicht bekannte Bilder verwenden würde wie jene, die den eigenen Körper mit einer geladenen Pistole vergleichen. Dustan lässt diesen Diskurs jedoch nicht seine Texte bestimmen, er will weiterhin das Potential und die Freuden hervorheben, die damit einhergehen, schwul zu sein.

Ann Cvetkovich schreibt in ‚Das Erbe des Traumas, das Erbe des Aktivismus: Die Lesben bei ACT UP‘ (erstmalig auf Deutsch veröffentlicht im jüngst erschienen Sammelband ‚Queer Studies‘, herausgegeben von Mike Laufenberg und Ben Trott), dass der Verlust bestimmte Sexualpraktiken von Subkulturen, deren Identität sich rund um die eigene Sexualität bildet, auch als solcher erlebt werden kann. Dass Dustan die dargestellten Sexpraktiken nicht moralisierend darstellt, hat einen weiteren Grund: Er will die Subkultur so beschreiben wie sie ist. Das macht ihn, ähnlich wie Annie Ernaux, und wie der Literaturwissenschaftler Dirk Naguschewski schreibt, zu einem Ethnographen.

Die Radikalität von Dustans Texten drängt die Frage auf, für wen er schreibt. Dustan selbst sagt, dass er nicht nur für ein schwules Publikum schreibt, dass die in seinen Texten vorhandenen Themen universell seien. Dafür spricht auch, dass seine Texte in einem Publikumsverlag erschienen sind – in dem er übrigens eine Reihe schwuler Literatur kuratiert hat.

Vermutlich wurde Dustan beim Schreiben seiner Texte von verschiedenen Affekten getrieben. Es ist offensichtlich, dass Dustan sich literarische Anerkennung wünschte, eine Anerkennung, welche ihm dank der Explizität seiner Texte verwehrt bleiben würde. Er wünschte sich aber wahrscheinlich auch eine Lektüre seiner Texte durch ein breites bürgerliches Publikum, weil er diesem vor den Kopf stoßen wollte. Und immerhin, das haben jüngst die Reaktionen auf ‚Detransition, Baby‘ von Torrey Peters gezeigt, gibt es wenig Amüsanteres als die Empörung eines heteronormativen UND eines homonormativen Publikums zu provozieren.

Guillaume Dustan ist 2005 an einer versehentlichen Drogenüberdosis gestorben. In deutscher Übersetzung liegt bisher lediglich sein Debütroman unter dem Titel ‚Exzess‘ (aus dem Französischen von Egbert Hörmann) vor. Eine Neuentdeckung seiner Texte im deutschsprachigen Raum ist unbedingt wünschenswert. Dustan schreibt nüchtern und abgeklärt, deswegen aber nicht emotionslos und humorfrei. Auch ähnelt die von Dustan beschriebene Welt dank PrEP und einer Therapie, welche die Ansteckung durch HIV-positive Menschen unmöglich macht, der gegenwärtigen queeren Szene, eine Szene, die in der gegenwärtigen queeren Literatur so kaum beschrieben wird. Dustans Werk vollbringt also das seltene Kunststück, uns etwas über die Vergangenheit und die Gegenwart zu verraten.

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