Marouane Bakhti – Wie man aus der Welt verschwindet

Etwas von meiner aufgelösten Persönlichkeit schreckt plötzlich auf und sagt zu mir: »Was machst du mit diesen Wurzeln jenseits des Mittelmeers? Hast du darüber mal nachgedacht? Wirst du dich dort begraben lassen? Leugnest du deine Vorfahren? Was denkst du, wo dich das hinführt? Etwa dazu, weiß zu sein? Wirst du dich noch weiter verflüchtigen?«

Seine bloße Existenz verwirrt, sie geht über die Köpfe seiner Mitmenschen hinweg. Wer ist er? Marokkaner oder Franzose? Schwul oder Muslim? ‚Wie man aus der Welt verschwindet‘ von Marouane Bakhti (aus dem Französischen von Arabel Summent) erzählt davon, was es bedeutet, stets einen Teil seiner Selbst zu verleugnen, von der heraufbeschworenen Amnesie und dem Nebel des toten Verlangens und dem der Bildung, in dem selbst die gerechte Wut zerschellt. Er erzählt davon, wie man aus der Welt verschwindet – und wie man in sie zurückfindet.

Der Erzähler von ‚Wie man aus der Welt verschwindet‘ wächst in einer Welt der scheinbaren Gegensätze auf. Da wäre auf der einen Seite sein strenger marokkanischer Vater, der für ihn zu einem „Monster der Männlichkeit“ wird, zum Vertreter einer „misogynen Kultur, einem Mythos, den man am liebsten niederbrennen würde“. Auf der anderen Seite befindet sich seine weiße Mutter, „die alle Stöße abfedert“, seine sanfte Mutter, die in ihrem Bemühen, ihn vor der Welt zu schützen, an sich bindet. Mit seinen ordentlich nach hinten gekämmten Haaren und seinen schönen Streifenhemden versucht er wie die anderen zu sein, doch alle diese Versuche sind zum Scheitern verurteilt, er gehört nirgends dazu: „Ich stamme aus einer Kultur ohne Boden, ein Junge, der in einer Petrischale zur Welt kam, die man treiben ließ wie die Hyazinthen auf den Tümpeln um das Haus unserer Familie.“ Die einzige Lektion, die er lernt, ist, dass man hier den Araber wie auch den Schwulen hasst.

Später, wenn ihm die Flucht nach Paris gelungen ist, droht er vollends aus der Welt zu verschwinden. Er ist orientierungslos, wird von der Stille und der Angst, etwas aus seinem Leben zu machen, gelähmt. Die Männer schauen mit dem Blick des Kolonisators auf ihn, warten darauf, dass die Gewalt aus ihm hervorbricht, und doch lenkt der Sex seine Beine, als wäre er ein dummes Tier. Erst als er für die Beerdigung vom Vater seines Vaters nach Marokko reist, erinnert er sich „an den Garten und die Sedaris, an Tanger und die Nächte des Ramadan.

In seinem autofiktionalen Debütroman ‚Wie man aus der Welt verschwindet‘ schreibt Marouane Bakthi gegen Fremdzuschreibungen und falsche Loyalitäten an. Der Text lotet das Ungewisse im Dazwischen aus, er ist nicht an klassischer Einheit oder gar Reinheit interessiert. Genauso wenig möchte er sich präsentabel machen, der Text zeigt keinerlei Angst vor Sex und den damit verbundenen Flüssigkeiten.

Bakthi erzählt den Roman in kurzen Abschnitten, in Bildern, dir vor dem Auge des Erzählers vorbeiziehen, karg und trist, aber auch sattgrün, voller Sanftheit und Poesie. Das ist es unter anderem auch, was diesen Text von anderen autofiktionalen Erzählungen über Herkunft, Klasse und Isolation unterscheidet, dass Bakhti seinen Themen inhaltlich wie sprachlich und auch formal beikommt und gerecht wird. Bakthi geht weiter, wo andere Autor*innen aufhören. Er beschreibt die Brutalität, Kargheit und die Härte, doch er begegnet ihnen mit Vergebung und Sanftheit.

Wie man aus der Welt verschwindet‘ erzählt von der beharrlichen Zuneigung jenen gegenüber, für die wir auch Hass hegen; es erzählt von der Freiheit, selbst zu entscheiden, wer man ist. Hier schreibt jemand, er seine Stimme bereits gefunden hat, poetisch und selbstbewusst – und dabei neue Standards setzend für alle Autor*innen, die in Zukunft über ähnliche Themen schreiben wollen. Dieses Buch und sein Autor werden ganz sicher nicht aus der Welt verschwinden.

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