Die Steinwache in Dortmund diente den Nationalsozialisten im dritten Reich dazu, ihre Feinde einzusperren, zu foltern und um sie von dort in die verschiedenen Konzentrationslager zu deportieren. Heute ist die Steinwache ein Museum. Zwischen 1939 und 1945 wurden hier auch über 600 Männer aufgrund ihrer Homosexualität aktenkundig erfasst. Was aus ihnen geworden ist, ist größtenteils unbekannt. Viele von ihnen sind vermutlich in den Konzentrationslagern getötet worden oder haben Zeit ihres Lebens über die Ereignisse geschwiegen. Auch weil sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell noch als Sexualstraftäter galten und geführt wurden. Erst 2015 wurden die Akten der Steinwache bezüglich der Verfolgung Homosexueller im Dritten Reiche erforscht. Seit 2016 gibt es in Dortmund die ersten Stolpersteine, welche Opfer des §175 würdigen. Diese Würdigung hat eine lange Geschichte – und beginnt mit Heinz Hegers Die Männer mit dem rosa Winkel.
Heinz Heger ist das Pseudonym für Johann „Hanns“ Neumann. Heger ist selbst schwul, hat die – wie oft fälschlicherweise angenommen – beschriebenen Ereignisse jedoch nicht selbst erlebt, eine Tatsache, die wohl der Erzählperspektive geschuldet ist. Es die Geschichte von Josef Kohout, die Heger innerhalb von 15 Gesprächen aufgezeichnet und niedergeschrieben hat. Sie beginnt 1939 in Wien: Kohout ist 22 Jahre alt und Student (in Wahrheit ist Kohout zu dieser Zeit Postbeamter, die Erzählung weicht an einigen wenigen Stellen von den tatsächlichen Ereignissen ab). Seine Homosexualität ist ein in der Familie bekanntes Geheimnis. Um sich nicht erpressbar zu machen, rät Kohouts Mutter ihm dazu, eine lebenslange Freundschaftsbeziehung zu einem Mann führen. Diese Beziehung ist es aber dann, die ihm zum Verhängnis wird: Als er sich bei der Polizei melden muss, wird er mit einem Foto konfrontiert, welches ihn und seinen Freund zeigt. Auf der Rückseite der Fotografie befindet sich eine Widmung, welche die Natur ihrer Beziehung verrät. Kohout muss für sechs Monate (tatsächlich waren es sieben Monate) ins Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung wird er von 1939 bis 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern interniert, zuerst im KZ Sachsenhausen und ab 1940 im KZ Flossenbürg.
Kohout überlebt. Weil seine Familie ihm Geld schickt und weil er mit verschiedenen Kapos und Blockältesten sexuelle Beziehungen eingeht. Mit dem rosa Winkel gekennzeichnet, befinden Kohout und seine Mitgefangenen sich auf der untersten Stufe der Lagerhierarchie. Sie werden isoliert und sind den Schikanen der SS-Männer ausgeliefert. Politische Gefangene in ihrer Position als Lagerälteste entscheiden auch darüber, welche Gefangenen getötet oder für Experimente missbraucht werden. Sie entscheiden sich zumeist für Juden und die Männer mit dem rosa Winkel.
Die Männer mit dem rosa Winkel ist in mehrerlei Hinsicht ein Zeitdokument. Es ist der erste Bericht eines homosexuellen Mannes über seine Inhaftierung in einem Konzentrationslager. Über diese Männer war bis zum Erscheinen des Buches nur wenig bekannt, Forscher haben ihre Geschichten schlechtweg ignoriert, auch weil der gesellschaftliche Konsens dahin ging, dass die Inhaftierung und Vernichtung der homosexuellen Männer ihre Berechtigung hatten. Und so berichtet ja auch der Schriftsteller Josef Winkler, dass sich die Bewohner seines Dorfes bezüglich der Schwulenproblematik einen kleinen Hitler wünschten. Ihre Rolle als Opfer von Hitlers Vernichtungsmaschinerie wird ihnen gesellschaftlich wie rechtlich aberkannt. Es darf nicht vergessen werden, dass viele homosexuelle Männer nach der Befreiung der Konzentrationslager den Rest ihrer Haftstrafe in Gefängnissen verbringen mussten. Und das begründet auch das Schweigen vieler Männer zu dem Zeitpunkt, als Heger und Kohout sich dazu entschließen, gemeinsam ein Buch zu planen. Bevor das Buch 1972 im Merlin Verlag erscheinen kann, wird es von zahlreichen Verlagen abgelehnt. Heger entscheidet sich, das Buch unter einem Pseudonym zu veröffentlichen – auch um seine berufliche Karriere zu schützen.
Das Buch beschreibt eine Wende in der Geschichte der Schwulenbewegung. Es inspirierte unter anderem das Theaterstück (und seine Verfilmung) Bent, aber auch Pierre Seel, der von seinen eigenen Erfahrungen in Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen berichtet hat. Der rosa Winkel wurde nach der Veröffentlichung des Buches schnell zu einem Symbol der Schwulenbewegung, mit dem man sich kämpferisch nach außen präsentieren konnte. Vor allem während der AIDS Epidemie wollte man daran erinnern, dass das Schweigen der Mehrheit für viele bereits einmal den Tod bedeutet hat.
Eine Rehabilitierung und Entschädigung von Homosexuellen im Sinne des Opferschutzsgesetzes wurde erst 2005 in Österreich beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren Josef Kohout und vermutlich so gut wie alle weiteren Opfer mit Anspruch auf Entschädigung bereits verstorben.