Patrick und Jirka treffen am Spiegelfreitag aufeinander. Sie sind beide um die 30, wohnen in Zürich und kennen die Enttäuschungen der schwulen Welt. Und doch folgt Patrick Jirka heim noch bevor sie sich kennen. Was folgt sind Wochen des Ringens um Nähe und Distanz. Doch bereits in der ersten Nacht, der Spiegelnacht, wird die Entscheidung getroffen, die das Leben der beiden auf den Kopf stellt.
Der 2010 im Bilger Verlag erschienene Debütroman Lange Nächte Tag von Simon Froehling erzählt eine Liebesgeschichte, die nur scheinbar keine ist, die ganz universell von der Liebe erzählt und doch ganz eigen und bestimmt. Denn der Roman scheut sich nicht vor einer expliziten Darstellung der schwulen Subkultur, ohne sich deswegen auf einen Milieuroman reduzieren lassen zu müssen.
Bereits ihre Begegnung ist der Stoff, aus dem queere Literatur gemacht ist: Ein alles veränderndes Wochenende, ein kleines Zeitfenster, indem sich die Ereignisse von Monaten konzentrieren, Schritte übersprungen oder neu sortiert werden, Bedeutungen entstehen, weil man sich zwar nicht kennt, die Geschichte des anderen aber unweigerlich irgendwie der eigenen gleichen muss. Man kennt sich, ohne sich zu kennen.
Auch von einer anderen Parallelwelt erzählt Lange Nächte Tag, von den Dating Portalen, hier dem ‚blauen Salon‘ mit seinen eigenen Codes, Regeln und Angaben wie dem Beziehungs- und dem Onlinestatus. In diesem Sinne gleicht der Roman aber auch einer Zeitkapsel, denn wer den Salon kennt, wird erkennen, wie sehr er sich in den letzten 10 Jahren geändert hat.
Es beginnt mit Sex und einem Verrat. Mitten in der Spiegelnacht steht Patrick auf und verschwindet spurlos. Zu groß ist die Angst davor, dem Gegenüber alle Wünsche und Sehnsüchte überzustülpen und zwangsläufig enttäuscht zu werden. Das Kennenlernen überfordert, beide müssen sie ausloten, was zu nahe und was zu weit weg ist. Doch wie tief der Verrat dieser ersten Nacht wirklich liegt, erfährt Patrick erst später.
Noch in der gleichen Nacht, nach Patricks Verschwinden, stolpert Jirka von Drogen betäubt in die Hölle. Hier der stadtbekannten Wohnung verleibt sich ihm eine Gruppe fremder Männer ein: Jirka infiziert sich, er ist HIV-positiv. Nun, nachdem sie wochenlang ungeschützten Sex hatten, muss auch Patrick sich testen lassen.
„So muss es gewesen sein. So war es für mich. Wie es für dich war, kann ich mir nur vorstellen. Immer wieder stelle ich mir vor, wie es für dich hätte sein können, bis diese Vorstellung in der Wiederholung wahr, beinahe materiell wird.“
Neben der Frage nach Verantwortung und Schuld steht vor allem aber auch die Frage im Raum, wie es soweit kommen konnte. Was ist passiert? Doch wie schon bei ihrer ersten Begegnung beim Yoga sitzen die beiden Männer voreinander „vervielfältigt in den beiden raumhohen und saalbreiten Wandspiegeln, schauten sich an und sahen dahinter sich selbst und dahinter den anderen und nochmals sich selbst und den anderen und nochmals, bis sie zerschellten in der Unendlichkeit.“
Um sich dem anderen zu nähern, bleibt Patrick nichts anderes übrig, als von einem imaginierten Du zu sprechen. Das Ringen um Sprache gleicht hier dem Ringen um Nähe. In diese Erzählung von einem Du brechen aber auch Bilder aus der eigenen Vergangenheit ein, Bilder von ‚der Großen, der verstorbenen Schwester, und der Kindheit und Jugend auf dem Land. Was zuerst irritiert, entpuppt sich als weiterer Blick in den Spiegel: Sich selbst zu offenbaren und zu verstehen, bedeutet auch das Gegenüber zu erkennen. Simon Froehling erzählt von Lust, Erniedrigung, Scham und Traumata am Schnittpunkt von Sex.
In Lange Nächte Tag findet Simon Froehling im Besonderen das Universelle, im Brutalen das Zärtliche. Ein Debüt also, das wie die beste Literatur einer Liebkosung und einem Schlag in die Magengrube gleicht.
Der zweite Roman von Simon Froehling DÜRRST erscheint am 27.09 im Bilger Verlag. Eine Rezension erscheint natürlich zeitnah hier auf Books are gay as fuck.